Catherina Godwin – Immer wieder Ich und Ich

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II. Der Mondaminpudding

DER MONDAMINPUDDING

Wenn ich einen schönen weißen Pudding in der Schale sehe, der rundlich appetitlich dasteht, so werde ich traurig.

Dieser Pudding erinnert mich an Mich.

Ich stehe genauso erfreulich, so exponiert, so hilflos da.

So ganz eine angenehme Masse ohne Rückgrat und ohne Knochen, alles ein wehrloses Gemisch, in das die anderen hineinschneiden und davon nehmen und kritisieren und tadeln und sichs wohl sein lassen. Ich zittere resigniert auf der Schüssel, auf die man mich gesetzt, wenn sie mich mit großen Löffeln angreifen.

Ich stehe wehrlos, bestimmt, von anderen verschlungen zu werden, oder allein früh zu verderben.
Wenn man mir einen schönen weißen Pudding in der Schale offeriert, so sage ich: nein, ich danke.

1. deshalb und 2. lebe ich auf Taille.

(Aus: Catherina Godwin, Begegnungen mit Mir. Hyperion-Verlag Hans von Weber, München 1910)

 

Ich war wie vom Blitz gerührt, als ich zum ersten Mal in diesem Buch blätterte. Die Haltung der Autorin wirkt auch nach über 100 Jahren so frisch, originell, selbstsicher und modern, dass man sie ohne Weiteres für eine etwas verschrobene Zeitgenossin unserer Tage halten könnte. Ich las weiter und hörte nicht eher auf, als bis ich das 108 Seiten dünne Büchlein verschlungen hatte…

 

Godwin, Begegnungen mit mir

Catherina Godwin: Begegnungen mit mir. Hyperionverlag, München 1910

 

Die 1911 erschienene Verlagsanzeige zur dritten Auflage im Zwiebelfisch vermittelt den Eindruck, dass das Buch bei den Kritikern durchweg auf positive Resonanz stieß. Tatsächlich gab es reichlich Gegenwind, vor allem aus der reaktionären Ecke – über den Verleger und seine junge Autorin schwappte eine Woge moralinsaurer Entrüstung herein, und der streitbare Hans von Weber sah sich veranlasst, im Zwiebelfisch mit wortgewaltigen Repliken aufzutrumpfen. Der Wortlaut der Kritiken ist hier nachzulesen.

Im Laufe ihrer eher holprigen Karriere füllte Catherina Godwin neun Bücher. Darüber hinaus schrieb sie Modekolumnen für die Dame, plauderte ganz erfrischend in der Jugend, ließ ihrem Sarkasmus im Simplicissimus freien Lauf, machte eine glänzende Figur in Scherls Magazin und ging im Forum auf Gegenrhythmus. Sie schrieb Reiseberichte für den Berliner Lokalanzeiger und Buchrezensionen für die Münchner Neuesten Nachrichten, gehörte zu den regelmäßigen Mitarbeiterinnen des März, des Uhu, der Weissen Blätter, der Bunten Truhe und des Styl. Ihre Bücher wurden bei Langen in München, bei Reclam in Leipzig sowie bei Scherl und bei Ullstein in Berlin verlegt. Von 1921 bis 1933 zählte sie zu den aktivsten Mitgliedern im Schutzverband Deutscher Schriftsteller und gehörte in dieser Zeit durchgehend dem Gauvorstand an. 1924 trat sie dem P.E.N. Zentrum München bei und wurde 1927 in den auf Veranlassung Thomas Manns gegründeten Literaturbeirat des Münchener Stadtrats berufen. Sie schrieb auf Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch. Einige ihrer Bücher und Artikel wurden ins Slowenische, Polnische und Ungarische übersetzt. Zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zählten die Familien Heinrich und Thomas Mann, Rainer-Maria Rilke, Bruno Frank, Carl-Georg von Maaßen, Alexander von Gleichen-Rußwurm und Lion Feuchtwanger

Aber wer war die blutjunge Mondäne, die mit ihren freimütigen Seelenbekenntnissen die literarische Welt in Aufruhr brachte? – Im Folgenden der Stand meiner Erkenntnisse.


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Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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