Hyazinth. Novelle von Catherina Godwin.

Als der Berühmte, von seiner hohen Gage beschwingt, das Hotel Ispania verließ und die Tillergirls zum Abschied mit den Beinen winkten, beschloß er, seine Studienexpedition auf dem Rücken eines Elefanten zu unternehmen, um seine Eindrücke der Öffentlichkeit zu übermitteln. Der Elefant hieß Fli; er war dressiert und hatte nur einen Zahn, einen Riesenzahn, der ihm ein groteskes, märchenhaftes Gepräge gab.

Und Fli schritt stolz, als trüge er den König des Urwalds; schwarze und braune Gestalten begleiteten den Star mit dem Tropenhut. Hinterher ritt der Mann mit der Kamera, der den Mutigen vielfach photographierte, und ihm zur Seite der Privatsekretär, der die privaten Eindrücke des hohen Herrn erdachte. Fli stand gerne neben der schwarzbehängten Kamera und enthüllte sie mit seinem Rüssel. Er tappte vorsichtig, um den großen Hyazinth nicht zu ermüden.

Man hatte haltgemacht. Die Stätte, wo man rastete, war eine Urwaldlichtung für die vornehmen Fremden, das wußten die Büffel mit ihren mächtigen Schädeln, das wußten die Zebras und Gnus. Sie kamen menschenfreundlich und ließen sich erschießen, sie opferten sich gastlich für den internationalen Verkehrsverein.

So naturalistisch Hyazinth II schon photographiert war, um seinen Bewunderern sich im letzten Urwalddreß zu zeigen, so nackt hatte sein Leibphotograph ihn dennoch nie gesehen, wie er ihm unerwartet im Dickicht eines Morgens begegnen sollte.
Er starrte den Nackten begeistert an. Er knipste, knipste auf alle Fälle. Wurde das Bild auch konfisziert, so würde es verdoppelte Abnehmer finden. Doch schon sprang Hyazinth auf ihn zu, packte ihn am Handgelenk, zwang ihn mit stummem Blick in die Knie und bedeutete ihm herrisch, die Aufnahme zu vernichten.
„Aber… aber!“ jammerte der erschrockene Leibphotograph. „Herr,“ winselte er weiter, „wie sind Sie plötzlich verändert!!“
Im gleichen Momente knackten Zweige, und aus dem Dickicht trat Hyazinth II in rohseidenem Anzug mit hohem Tropenhut.
Der Photograph schwankte: sah den gekleideten, gebügelten Hyazinth und den anderen, gebräunten Nackten. Schon wieder tastete er beherzt zur Kamera. Er wollte die Halluzination im Bilde festhalten. Wie sii sich anstaunten, wie sie krietisch voreinander verharrten, sich maßen und schließlich beide lächelten, der Echte sein göttliches Lächeln, der Unechte sein diabolisches. Wie endlich der Echte, als Gastherr des Urwaldes, seine gebräunte Hand dem andern, dem Fremdling, reichte – welch ein ergreifender Augenblick! Der Leibphotograph knipste. Seine Knie bebten. „Urwaldspuk“ betitelte der Rührige bereits die sensationelle Begegnung.

„Und wie heißen Sie?“ hatte endlich der echte Hyazinth gefragt.
„Ich?“ forderte der vornehme Fremdling den Mann der Wildnis heraus: „Ich heiße Hyazinth! Ich habe einen unbekannten Dichter namens Hyazinth, der Selbstmord beging, durch meine Darstellung im Film mit einem Schlage berühmt gemacht!“
„Das war also sein Ruhm,“ meinte der andere in leiser Melancholie.
„Ja, das war sein Ruhm,“ nickte der berühmte Darsteller. „Denn jener, der den schwachen jungen Dichter spielte, war ein starkes Talent und hat aus dem anderen rückwirkend ein Genie gemacht.“
„Und dieses starke Talent sind Sie?“ entgegnete Hyazinth I im Tone leiser Ehrfurcht, die ihn im Leben nie verließ.
„So ist es. Durch mich wurde der Tote lebendig, unsterblich; ich spiele ihn nun.“
„Und haben sie ihn auch glücklich gemacht?“ fragte Hyazinth I.
„Das müssen Sie die anderen fragen,“ lehnte der Rohseidene ab. „Wenn die anderen uns beneiden, befeinden, verwünschen, dann sind wir wohl glücklich!“

Nun ritt der verschollene Dichter mit dem Manne, der ihm äußerlich so seltsam glich, durch besonntes Land, durch Wüstensand. Die Wüste zauberte ihm eine seltsame Fata Morgana: Den Doppelgänger, der sein einstiges Leben in einer anderen Gestalt vollendete. Ja, die Ähnlichkeit war groß: Der gleiche Wuchs, die gleiche Haltung, der gleiche kühne Schnitt des Profils, der gleiche schmale, ein wenig langgezogene Mund, der gleiche edelgeformte Schädel.

„Was ist’s eigentlich,“ überlegte der Dichter, „was die Menschen. auch wenn sie sich sehr ähneln, oft so stark unterscheidet? Es ist der Stoff. Es gibt Menschen wie grichische Götter aus Gips; es gibt andere aus Blech, aus Brei und aus Erz. Es gibt Frauen aus Elfenbein, aus Kristall, aus Marzipan, und wieder andere sind so lackiert, daß man das ursprüngliche Metrial nicht mehr weiß. Ich bin aus Erde,“ dachte Hyazinth ernst. „Leuchtet auch mein Leib wie Bronze, ich bin Erde, bereit, daß die Saat des Lebens in mich falle. Wer ist Hyazinth II?“ überlegte er weiter. „Aus welchem Stoff ist er geformt? Er markiert Stein, spielt Fels und mimt den Unverletzlichen. Und darum verletzt er auch die anderen. Der Europäer ist eine Waffe,“ überlegte Hyazinth I, „der Inder ist ein Schild.“

So saßen sie beide in der schaukelnden Sänfte, auf Fli, dem mächtigen Elefanten, der eine schaute nach Westen, der andere nach Osten, als wären sie ein Janushaupt.
Und sie glichen den zwei Welten hienieden: Ost und West, den zwei Weltauffassungen, unversöhnt und unserer Zeit tiefstes Problem.

*

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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