Hyazinth. Novelle von Catherina Godwin.

Hyazinth lebte seit langem im Süden. Diese warme, sonnige Erde war gut. Sie verlangte wenig Kleidung, es gab am Wege zu verdienen. Hyazinth trug Früchte in großen Körben, ritt auf Kamelen zur Wüste und sah Engländer in Tropenhüten die Pyramiden bewundern. Er kam gerne zur Sphinx. Er freute sich ihrer starren, herrschenden Gestalt, er liebte den einförmigen Wüstensand, endlos bis zum Horizont gebreitet. Er liebte den gleichmäßigen Strahl heißer Sonne, sein Körper war dunkel gebräunt, sein Haar noch lichter als einst und seine Augen hatten den hyazinthfarbenen strahlenden Goldton.

Er hatte den Anblick seines eigenen Bildes verlernt. Nur zuweilen spiegelte er sich am Wege in den bewundernden Blicken einer Frau. Er dachte nicht mehr an die Jahre. Zeitlos empfing er Tag und Nacht, als sei er ewig gestaltet und unsterblich geworden. Die Unsterblichkeit, die seinen wenigen Versen die Mitwelt nun lieh, verlieh ihm sein Verbundensein mit der Natur.
Hyazinth begegnete jetzt dem ewigen Sommer. Als habe seine Liebe alle Kälte verdrängt. Als sei aus ihm das erwärmende, befruchtende Licht aufgestiegen, das alles erhellt.
Dann waren Stunden, die ihn betäubten. Zu heiß. Zu berauschend. Einschläfernd, wenn der Weitgewanderte die Füße in den Nil senkte und das laue Wasser sie umspülte.
Er träumte sich Fisch, und er sei in den Wellen ein Tanz und vergehe und schwebe empor als bunter, rauschender Vogel und schaukele sich auf Blumen mit betäubendem Duft in den Farnen des Urwaldes. Er träumte sich Tiger, in seliger Laune, und sah in sich die Antilope mit dem bebenden Leib, sterbend an höherer Naturgewalt. So ging ein Wesen auf in das andere und glitt in das wieder andere über.

Er hatte allmählich sein Hemd verloren, das letzte aus weltmännischer Zeit. Er wanderte wie ein Zigeuner, in seidenen Fetzen, lief endlich mit nacktem Oberkörper und der weiten Hose davon, die er für seine Arbeit eingetauscht hatte. Ein mächtiger Hut, von Negerhand geflochten, beschattete seinen leuchtenden Blick. So wanderte er von Zufall zu Zufall.
Und alle Menschen waren wandernde Kulissen, die sich nur scheinbar eigenwillig bewegen. Hyazinth war längst überzeugt, sie alle seien geschoben, gezogen und aneinandergebunden mit heimlichen Fäden, die im Reiche der Strahlen sind und die der Sehende erkennt mit innerlich erhelltem Blick.
Einmal fragte ein Herr in modischem Tropenanzug den Sonnengebräunten, ob er ihn hinausbegleiten wolle zu einem Urwaldritt. Hyazinth nahm an. Er sah, wie ein europäischer Forscher reist, wie ein Kulturträger die Wildnis prüft und die Natur berechnet. Kein Zweifel, man konnte die ganze Natur berechnen, auf Formeln bringen, und wenn endlich der Schluß gezogen war, dann hatte man die Zahl gewonnen und den Schöpfer verloren.

Hyazinth begriff den vornehmen Forscher im Tropenanzug. Dieser Mann bereiste den Urwald, um darüber ein Buch zu schreiben. Hyazinth mußte ihn in verwegenen Positionen photographieren. Man schleppte erlegte Löwen und Leoparden für ihn herbei. Hyazinth freute sich, daß der Mann zufrieden und daheim wohl ein berühmter Gelehrter und berühmter Schriftsteller war.
Da entsann Hyazinth sich seiner eigenen Gedichte auf Büttenpapier. Doch so viel er auch grübelte: kein Vers fiel ihm mehr ein. Selbst das kleine Liebesgedicht, daß ihn so unsterblich berühmt machen sollte, hatte er vergessen.

Aber eines Abends, bei Mondschein, verlor der englische Forscher ein Stück seines Gepäcks. Hyazinth ritt zurück und fand die Ledertasche am einsamen Weg. Er suchte, ob alles Vermißte darin vorhanden sei, und entdeckte dabei ein Buch. Ein kleines Buch, es hieß: „Poems“ und darunter stand: „Hyazinth“. Auch der nüchterne Urwaldforscher war vom Hyazinthkult angesteckt und hatte seine poetischen Stunden.

Hyazinth vergaß den englischen Forscher. Er studierte bei Mondschein seine eigenen übertragenen Verse. So wenig er auch bislang von seinem Ruhm ahnte, so wenig wunderte er sich anderseits, daß die eigenen Gedanken auf fernem Umwege wieder zu ihm zurückfanden. Er lächelte. Sein seltenes Lächeln, daß wie ein Geschenk seine sonst so ernsten Züge verschönte. Er legte das Buch feierlich wie eine Bibel an seinen Platz zurück.

*

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

Share This Post On

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert