Hyazinth. Novelle von Catherina Godwin.

Fea preßte ihr Gesicht an die Fensterscheibe, genau wie einst die kleine Isa. Ihre Augen wurden so groß, als sei sie zu einer Großaufnahme im Film engagiert. Ihr ältlicher Gatte, der Baron, ruhte am Kanapee, klagte über Hitze, klagte über Moskitos und hatte ein Insektennetz über sich gebreitet.
Doch das Ziel „Ispania“ am Urwaldrande mußte man besucht haben! Wie machte es sich feudal, wenn man in Berlin so nebenbei erwähnte: „…Und dann, nach unserem Flug durch die Wüste, wenn wir im „Ispania“ bei der Siesta auf der Terrasse saßen, war es ideal: der Urwald mit all seinen Wundern und Schrecken zum Greifen vor uns…“

Feas Augen brannten plötzlich Entsetzen, Frage, Freude: War das nicht Hyazinth? Der tote Hyazinth, nur verschönt, verstärkt, in einen Bronzeton verzaubert? Aber sie sah seine Augen nicht. Sah die hyazinthfarbenen Augen nicht, die von langen Wimpern beschattet blieben.

Fea preßte die Nägel in ihr Fleisch, fragte sich, ob sie lebe. Nein, sie lebte nicht. Das war ein Traum! Ein Fieberwahn, ein Tropenwahn, in ihren Adern rauschte das Blut. Sie eilte vor den Spiegel. „Daß du noch Kräfte zur Eitelkeit hast,“ nörgelte der moskitobenetzte Gatte.
„Eitelkeit ist Kraft!“ gab die Baronin ablehnend zur Antwort, verachtete sie, weil er eine abgenützte Staffel ihrer Karriere war.

Die Frischgeschminkte eilte hinaus. An den Urwaldrand. Streifte Hyazinth, der sie längst vergessen hatte. Er war an solche Frauenmanöver gewöhnt.
„Hyazinth!“ schrie sie gellend auf, als riefe ein Vogel aus dem Urwald magisch seinen Namen.
Er lächelte. Ohne Überraschung. Er blickte in den fernen Urwald.
„Du bist Hyazinth!“ bebten ihre Worte, gewillt, sein Geheimnis dem ganzen Europa zu verkünden, an seiner Seite bewundert zurückzukehren.
Er aber fragte sich zu dieser Stunde, ob er wirklich Hyazinth sei, der Mann, den er überwand und dessen Ruhm den anderen gehörte.
Sie hob die beringten Hände beschwörend: „Sage doch ein Wort, Hyazinth!“
Doch er erkannte Fea nicht mehr. Sie war gewaltsam schlank, gewaltsam jung geworden, ein modisches Dutzend-Klischee.
„Ich bin Fea,“ flüsterte sie, „Fea!“ Sie legte in den Ton ihres Namens verheißungsvolle Erinnerung. „Fea, für die du einst dein berühmtes Liebesgedicht schriebst.“
Hyazinth blickte zu ihr auf, ernst und besinnend. Hatte er ihr sein Liebesgedicht gewidmet? War eines Menschen Liebe nicht für alle? Fingen die Gefühle sich nicht nur da und dort? Bannten sich an eine Gestalt, um an eine andere und wieder andere sich zu tauschen?

Hyazinth erhob sich; sie erschrak, weil er größer war als einst, breiter, wuchtiger, aus Erz, während sie in Fleisch noch vor ihm stand, mit ihren leiblichen Wünschen.
„Du wilst mich nicht kennen!“ jammerte sie. „Du fürchtest für deinen Ruhm! O, du hast ihn schlau inszeniert, wie schlau! Du bist ein echtes Kind der Zeit!“
Hyazinth blickte wieder besinnend. Er überlegte, ob an ihrem Worte vielleicht eine Wahrheit sei. War er wirklich nur ein Kind der Zeit? Vielleicht ihr Gegenbild?
„Ich verstehe Ihre Sprache nicht,“ sagte Hyazinth nun auf englisch. „Wünschen Sie etwas von mir? Womit kann ich dienen?“ Seine Worte waren im tiefsten ehrlich: heute diente er jeder Kreatur.

„O Hyazinth!“ Fea schluchzte plötzlich, schluchzte laut ihr hysterisches Schluchzen, durch das sie einst ihren Gatten verlor. „Hyazinth!“ drohte sie erneut. „Wenn du dich verleugnest, renne ich in den Wald und lasse mich von den Löwen zerreißen. Oder nein: ich verbreite noch heute durch Radio in alle Ferne, daß Hyazinth lebt und daß er die ganze Welt betrogen hat!“
Wieder lächelte Hyazinth. Sein gütig-überlegenes Lächeln, in dem stets etwas Resignation lag. Er zeigte höflich seinen Führerschein. „Falls die Dame eine Begleitung für die Expedition wünschen?“

„Ja!“ rief Fea. „Ja gewiß, wir engagieren Sie! Mein neuer Gatte, der Baron Melinsky, wird gleich alles mit Ihnen ordnen!“
Doch als Fea zwei Minuten später wieder heraustrat, war der Gebräunte mit dem geflochtenen Hut, mit der nackten Brust und den weiten Beinkleidern fort.
Noch schwebte in der Luft ein Hauch der tropischen Blätter, die er rauchte. Der livrierte Groom, der galonierte Neger, der europäische Portier bedauerten, bedauerten lebhaft. Sie kannten das Volk nicht alles, das sich hier am Urwaldrand herumtrieb. Es war nicht gut, sich mit dem Gesindel einzulassen, das Hotel hatte erprobte Dolmetscher, ein zehn Sprachen beherrschender Dragoman stand zur Verfügung, Männer mit nackter Brust und Strohhüten gab es hier ungezählte, und den Namen „Hyazinth“ hatten sie noch nie gehört.

Fea lag in Krämpfen. „Das kommt von den Moskitos,“ grollte der Gatte und drängte heimzureisen. Aber die Baronin schluchzte und suchte. Suchte im Urwald mit dem zehn Sprachen beherrschenden Dragoman, bis den Baron eine Kobra biß und sie als Witwe heimkehrte.

*

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

Share This Post On

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert