Felix Salten über Catherina Godwin

FEUILLETON

Das Buch einer Frau.

Man muß sich vorstellen, daß Catherina Godwin sehr hübsch ist; sehr soigniert und fabelhaft elegant. Vielleicht sind ihre Toiletten manchmal zu auffallend; das darf man ihr schon zutrauen. So trägt sie zum Beispiel ein braunes Sommerkleid und papageiengrüne Lederhandschuhe. Aber das tut sie offenbar nur, weil sie eine Individualität ist.

Wenn man sie im Theater oder auf dem Rennplatz trifft oder im Kursaal von Ostende oder sonst an irgendeinem Ort, wo es sehr vornehm und sehr teuer ist, dann schauen sicher alle Leute nach ihr. Sie hat die aufrauschende und flimmernde Eleganz einer Demimondaine. Aber in ihrem hübschen Gesicht ist der abweisende Hochmut einer Prinzessin. Man weiß nicht gleich: ist sie eine Kokotte mit aristokratischem Ehrgeiz oder eine Aristokratin mit kokottenhaften Neigungen. Und man fragt sich: wer ist das? Nun, es ist Catherina Godwin. Eine blonde Frau mit einem schönen, schlanken Leib und wundersamen Haaren.” So zeichnet sie sich selbst. Sie hat nur einen großen Schmerz, und das ist die Geschmacklosigkeit. Davon die Welt leider so voll ist und daran sie ihre zarte Seele wund stößt. Sie kennt eigentlich nur eine Wonne. Das ist ihr ästhetisches Gefühl, wie sie es nennt. Lieber Gott, was nennt man nicht alles ästhetisch und was nennt man nicht alles Gefühl. Wenn aber ein Mann dieser schönen, sorgfältig geputzten Frau gegenübertritt, dann wird er sich unter ihren mokanten Blicken sofort aller seiner Kleidungsfehler und seiner Verstöße gegen die Eleganz auf eine quälende Weise bewußt. Er mag das Pulver erfunden, Amerika entdeckt, die Neunte Symphonie geschrieben haben, er wird augenblicklich erkennen, daß ihm dies alles hier nichts nützt. Dafür aber wird er sogleich merken, wie furchtbar es ihm schadet, daß er etwa eine Fertigkrawatte trägt oder gar falsche, eingeknöpfte Manschetten oder schlimmer noch: Zugstiefel. Er wird unter den Augen dieser Frau und im Angesicht ihres kunstvollen, komplizierten und tadellosen Staates die wenig angenehme Empfindung haben, er selbst sei nur ein klägliches Gestell von Geschmacklosigkeiten. Er wird seines ganzen inneren Wertes vergessen und sich nur der unseligen Verzierungen schämen, die ihm auswendig anhaften; und in seinem von Reue zerrissenen Herzen wird er denken: Ich Elender…Warum habe ich eingeknöpfte Manschetten?

Wenn einer in Catherina Godwin verliebt ist, was ja passieren mag, dann muß er korrekt und elegant sein. Sonst blüht ihm kein Glück. Sie sagt es selbst: … Männer mit müdem Ausdruck, mit englischen Anzügen und amerikanischen Stiefeln küsse ich!” Wenn man also keine englischen Anzüge und keine amerikanischen Stiefel hat, ist man erledigt. Verzweifle und stirb! Am gescheitesten wäre es freilich, sich erst gar nicht in eine Catherina Godwin zu verlieben, wenn sie auch noch so hübsch ist. Man spart Geld dabei. Denn mag auch freilich der müde Ausdruck ohne weitere Kosten zu beschaffen sein, englische Anzüge und amerikanische Stiefel sind verdammt teuer. Wichtiger aber ist es, daß man sich viele seelische Enttäuschungen erspart, wenn man sich mit Catherina Godwin nicht näher einläßt.

Denn diese reizende Frau liebt ja doch nur sich allein. Sie denkt nur an sich selbst, grübelt nur über sich selbst, und sie findet sich so interessant, daß sie ein Buch über sich geschrieben hat. „Begegnungen mit mir“, nennt sie es, und man kann nicht leugnen, daß dieser Titel schick ist. Er hat eine elegante Fasson, etwa wie ein Federhut von einer begabten Modistin. Es ist ein Titel mit papageigrünen Lederhandschuhen. Dieses kleine Buch ist von einer wirklichen literarischen Anstalt herausgegeben worden, vom Hyperion-Verlag in München. Allein, ich glaube, nicht so sehr, um die Welt mit einem neuen Talent bekannt zu machen, als um den Wissenden ein pikantes Bonbon vorzusetzen. Leider gibt es der Wissenden nur wenige, und ich wollte, es möchten viele Leute dieses kleine Buch lesen. Ich verspreche mir die beste Wirkung davon.

Es ist nämlich so was wie ein Dokument. Es ist ein Bekenntnis. Trotz all der kleinen Verlegenheiten, die es in sich birgt, so offenherzig, wie ein Bekenntnis nur sein kann. Es ist ein Selbstporträt. Aber viele Züge von gewissen anderen Frauen, die wir kennen, finden sich darin wieder, so sehr, daß es gelegentlich die besondere Individualität einbüßt, daß es beinahe unpersönlich wird, lauter typische Linien zeigt, und sich ausnimmt wie ein geistiges Modebild etwa. Die Frau von 1910. Es ist in lauter kleinen Kapiteln geschrieben. Kurze, saloppe Geschichtchen, anekdotisch eingepackte Aphorismen. Catherina Godwin hat Peter Altenberg gelesen, hat Oscar Wilde gelesen, hat die Zeichnungen von Aubrey Beardsley gesehen, auch die verbotensten, dann die verrucht geistreichen Blätter von Felicien Rops; sie kennt wahrscheinlich auch die Fleurs du mal“ von Baudelaire, entzückt sich gewiß an Bruno Paul, und ich möchte wetten, daß sie sich mit Gustav Flaubert viel beschäftigt hat. Sie schwärmt wahrscheinlich für Klimt; vor allem aber ist Peter Altenberg ihr geistiger Führer. Geistig…? Man muß nicht zu viel sagen: Diese Künstler und diese Kunstwerke, die uns allen teuer sind, hat sie Wohl eher mit den Sexualnerven erfaßt und gespürt als mit dem Intellekt. Sie trägt von ihnen allen nur ein Schimmern und Dämmern in sich, ein merkwürdiges Ragout, darin sie sich selber nicht zurecht findet. Sie hat dort eine Linie, da eine Farbe, hier ein Wort auf sich bezogen, hat überhaupt alles nur auf sich bezogen, und was sie gesehen, gelesen, gelernt hat, wär ihr stets immer nur ein Argument, sich selber mehr und mehr zu bewundern.

Sie sagt: Warum sollte ich mich denn nicht küssen? Man küßt jemanden, weil die. Stimmung und er gerade da ist. Wir wissen nicht mal, wann er das letztemal gebadet hat und Womit er seine Zähne reinigt!” Also warum sollte sie sich nicht selbst küssen? Sie vergleicht sich dann wieder mit einem Pudding. Ich stehe genau so erfreulich, so exponiert, so hilflos da. Ich stehe wehrlos da, bestimmt, von anderen verschlungen zu werden, oder allein früh zu verderben.“ In solchen Aussprüchen, in denen etwas von Peter Altenbergs Anmut wieder klingt, ist die Frau scharmant. Wenn sie nicht hie und da scharmant wäre, würden wir ja auch gar nicht von ihr reden. Manchmal kann sie sogar geistreich sein. Derjenige, von dem das Leben nichts will oder die anderen nichts wollen, derdrückt sich selbst die Hand, geht abseits und wird einsam.“ Das ist reizend gesagt. Dann aber kommen wieder Trivialitäten: „Ich habe Zwillinge geboren,“ und in einer neuen Zeile darunter: Siamesische Zwillinge.“ Und wieder in einer neuen Zeile darunter: Im Taufbuch sind sie als Phantasie und Wirklichkeit eingetragen.” Abgeschmackt. Sie fährt dann fort, und nennt die Zwillinge mit Kosenamen „Phanta“ und „Wirkchen“. Einfach abgeschmackt. Die Katastrophe aber tritt ein, wenn sie mit ihren kleinen, kokett frisierten Gedankchen, mit ihren kleinen, polierten und manikürten Händen an Christus rührt, wenn sie mit ihrer dünnen, parfümierten, von tausend Nichtigkeiten durchschwirrten Stimme anfängt, pathetisch und andächtig-tiefsinnig zu deklamieren. Es ist wie eine geistige Entlarvung, und man fragt sich: warum soll man sich mit einem solchen Persönchen abgeben.

Dennoch; es lohnt die Mühe, in diesem kleinen Buch, in diesem Inventar einer eleganten, hochmütigen, rasend von sich eingenommenen Frau ein wenig herumzustöbern. Seidenblusen und Schlagsahne, Herrenlackschuhe und lila Seidenwesten, Absinth und Walzermusik in der American Bar, glühender Haß gegen die bürgerlichen Naturen, unsägliche Verachtung gegen die Leute, die sich schlecht anziehen, dann noch einmal Seidenblusen, Filzhüte mit hohen Aigretten, Hüte „Form cloche“, dann Extrakt de Lilas Gellé Frères Paris, und eine fabelhafte Arroganz, weil man alle diese Dinge meistert. Junge Leute, die einen gutgeschnittenen Smoking anhaben, und die man küssen will. Wird man sich ihnen hingeben, oder wird man es nicht tun? Wird man in der Liebeslust erst nüchtern werden vom allzuhörbaren Atmen des Eroberers, von irgendeinem anderen Nichts? … Probleme … Dazwischen Anfälle einer nett arrangierten Selbstironie, deren Zipfel aber bedenklich im Zynischen nachschleifen. Dann wieder Seidenblusen und amerikanische Männerstiefel. Horizonte… „Das ist eine Welt, das heißt eine Welt!“

Denken wir nur eine Sekunde nach: es scheint, wir alle kennen diese Catherina Godwin, wenn sie auch manchmal anders heißt. Sie beschäftigt uns jede Weile. Gibt uns im privaten Leben und in der Oeffentlichkeit alle Augenblicke zu schaffen. Sie ist natürlich eine unverstandene Frau, und natürlich eine geistig hochstehende Frau. Sie ist eine Glücksucherin. Nur schade, daß sie mit nichts zufrieden ist, und daß sie auf der Suche nach dem Glück so viel Unheil anrichtet. Dort zerstört sie ein Lebensglück, da wieder stürzt sie einen unerfahrenen Jüngling in Verzweiflung und Selbstmord, hier sprengt sie den Frieden einer Ehe. Dann wieder entgleisen Männer ihretwegen, werden zu Verbrechern, wenn sie sich nicht auf eine geräuschlosere Weise irgendwie ruinieren. Sie selbst aber… „Leidet.“ Wo immer wir sie als Zentrum, Ursache und Anregerin eines Skandals finden, da bietet sie sich unseren Blicken als eine Leidende. Andere haben die Existenz um ihretwillen eingebüßt: Gräber haben sich um ihretwillen geöffnet. Aber sie ist eine Märtyrerin, eine unschuldig Verfolgte, ein gescheuchtes Reh. Sie leidet. Im Glück aber ist niemand hochmütiger als sie, niemand verletzender, übermütiger und dreister. „Die anderen Hühner legten Eier und fühlten sich sehr tüchtig. Ich aber legte keine Eier und fühlte mich sehr nutzlos.“ Der Gegensatz zwischen ihr und den Frauen, die Kinder kriegen, ist hier ausgesprochen. Aber so, als ob das Gebären doch eigentlich eine ganz lächerliche Sache wäre. Und so, als ob die Unfruchtbarkeit nur eine Folge vornehmer und taktvoller Reserve sein würde. Kein Mensch kann jemals so zartsinnig und so empfindlich, und so vornehm zurückhaltend sein wie Catherina Godwin. Sie sitzt ihrer Mutter gegenüber und denkt: „Ich liebe meine Mutter sehr. Sie ist eine vornehme und soignierte Dame. Und doch ist mir die Gewißheit, ein produzierter Teil ihres Körpers zu sein, eine Intimität, die mich bekümmert.“ Bekümmert… Man sieht, die Ärmste leidet; und man möchte sie gern einmal fragen: Gnädige Frau, haben Sie keine anderen Schmerzen? Sie hat noch andere. Sie sitzt der Mutter gegenüber: „Der Gedanke, während neun Monaten in ihrem Leibe gewohnt zu haben, ist mir peinlich. Ich sitze ihr gegenüber, und nach zweinundzwanzig langen Jahren betrachtete ich sie mit den Augen eines Mieters …“ Es ist eine Seele von einer Frau.

Es liegt mir ganz und gar nicht, moralisch zu sein. Ich habe auch keine moralisierenden Bedenken. Nur einige Fragen drängen sich mir auf. Ist es wirklich elegant, immerfort nur von seiner eigenen Eleganz zu reden? Ist es wirklich kultiviert, wenn man alle Finger lang von Kultur schwatzt? Und wenn man gar so stolz darauf ist, die bürgerlich Sittsamen zu verachten, zeigt sich darin nicht eine andere Spießbürgerlichkeit, das Banausentum des Lasters?

Wenn sich eine findige kleine Frau mit allen geistigen Errungenschaften der Neuzeit ausstaffiert, müssen wir ihrer Trivialität deshalb schon aufsitzen? Müssen wir uns dumm machen lassen und es übersehen, mit welchem hysterischen Hang zur Schamlosigkeit solch ein Geschöpfchen seine begierigen Instinkte entblößt? Müssen wir wirklich Mund und Augen aufsperren und uns vom Schauer des modernen Weltgeistes angeweht fühlen, wenn solch ein Weibchen seine eigenen Reize vor uns mit literarisierenden Worten betastet?

Nicht jeder Prilukow kommt vor Gericht und nicht jeder Goeben schneidet sich den Hals ab. Die Herren gehen herum und reden uns ein, wir hätten diese ins Hysterisch-Literarisch-Aesthetische entsprungenen Wonnegänse für Sphinxe zu halten und für dämonisch. Warum nicht gar? Hier habt ihr ein Buch, darin sich die moderne Dame vom Genre der Godwin etcetera selber beschrieben hat. Hier ist sie wirklich wie sie im Büchel steht. Ich will keineswegs moralisieren. Es ist vielleicht manchmal eine von den guten Himmelsgaben, solch ein zierliches Ding im Arm zu haben. Geschmackssache. Aber: nur nicht ernst nehmen. Es ist das moderne Weibchen. Die moderne Frau schaut anders aus. Aber ganz anders.

Felix Salten

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[Felix Salten: Das Buch einer Frau. In: Die Zeit, Nr. 8798, 9. Jg., Wien, 10. Juli 1910, Ss. 1–2.]

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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