Ludwig Wilhelm Gottlieb Wurster (1820–1890)

Ludwig Wilhelm Gottlieb Wurster

* 27.06.1820 · † 14.02.1890

 ::: Ludwig Wurster brachte es vom einfachen Bäckerssohn zum wohlhabenden Unternehmer und Fabrikbesitzer. Neben Fleiß und Geschick hat wohl auch ein glückliches Händchen bei der Brautwahl diese Karriere ermöglicht: Er heiratete eine Tochter seines Compagnons, des Tuchfabrikanten Casimir Wagner in Weidenthal; wenige Jahre später besaß er in Straßburg eine der größten Tuchfabriken Elsass-Lothringens …

Ludwig Wilhelm Gottlieb Wurster (*27.06.1820 Wangen; †14.02.1890 Baden-Baden) war das zweite Kind des Bäckermeisters Gottlieb Matthäus Wurster (1791–1858) und seiner ersten Ehefrau Charlotte Friederike Christiane Wagner (1799–1825). Er war der Großvater mütterlicherseits von Catherina Godwin.

Die Familie Wurster war von alters her im Stuttgarter Raum (vor allem im „Kirchspiel“ nahe Altensteig und um Weil im Schönbuch) weit verzweigt. Neben Bauern, Seilern, Webern, Rotgerbern und Schustern brachte sie auch zahlreiche Müller, Bäcker, Brauer und Wirte sowie einige Pastoren hervor. Nach den Hungersnöten der späten 1840er Jahre und auf dem Höhepunkt der Auswanderungswelle in den 1870ern wanderten zahlreiche Wursters nach Amerika aus. Der hier behandelte Zweig der Familie geht auf den um 1520 in Altensteig geborenen Nicolaus Wurster zurück, der um das Jahr 1545 die Baiermühle am Köllbach nahe Altensteig übernahm. Nähere Verwandtschaft zu anderen prominenten Trägern des Namens Wurster besteht nicht.

Ludwig Wurster hatte vier Schwestern, von denen drei bereits als Kleinkinder verstarben. Nur die älteste Schwester Friederike erreichte das Erwachsenenalter. Als Ludwig fünf Jahre alt war, starb die Mutter. Der Vater heiratete daraufhin Charlotte Friedrike Magdalene Kolb (1800–1875), mit der er vier weitere Kinder hatte. Das heute noch neben der Stuttgarter Siftskirche befindliche Schuhhaus Wurster geht auf den Betrieb eines Halbbruders Ludwigs aus dieser zweiten Ehe des Vaters zurück.

Über Ludwig Wursters Schulzeit und Ausbildung ist nichts bekannt; möglicherweise verbrachte er einige Jahre bei einem entfernten Verwandten in Frankfurt/M und wurde dort zum Tuchhändler ausgebildet.

1951 gründete er gemeinsam mit dem Tuchfabrikanten Casimir Wagner sen. und dessen Sohn Casimir Wagner jun. die Firma C. Wagner & Wurster, die an den Standorten Lambrecht und Weidenthal Kleidungsstoffe produzierte. Am 4. Mai 1852 heiratete er in Lambrecht bei Neustadt an der Weinstraße Elisabeth Wagner, eine Tochter bzw. Schwester seiner Compagnons. Im Jahr darauf kam der erste Sohn Louis zur Welt, 1854 folgte Casimir, dann Elisabeth Charlotte 1956 und Marie 1858.

Die Tuchindustrie in Lambrecht und Weidenthal war im frühen 18. Jahrhundert eine ziemlich traurige Angelegenheit: in etwa 300 Katen saßen dicht gedrängte Familien und walkten Lumpen, brachen und kämmten Flachs, webten in der Stube und färbten im Durchgang zum Stall, der sich unter demselben Dach befand. Es wurde mit giftigen Substanzen gearbeitet, und die Sterblichkeit war extrem hoch.

Nachdem der Neustädter Bankier Daqué um 1815 eine Lohnspinnerei mit wasserkraftbetriebenen Spinnmaschinen eingrichtet hatte, schlossen sich auf Initiative von Casimir Wagner sen. und Sebastian Oehlert 16 der wohlhabenderen Lambrechter Tuchmacher im Juli 1823 zu einer Genossenschaft zusammen, um mit einem gemeinsamen Spinnerei- und Walkereibetrieb effizienter produzieren zu können. Bald wurden eine Raumaschine, eine Tuchschermaschine und verschiedene Pressen angeschafft, zudem wurde 1826 eine Färbereigesellschaft gegründet.

Der Erfolg dieser ersten Fabrik, der „Alten Maschine“, ermutigte 15 weitere Tuchmacher Anfang 1832 zur Gründung einer zweiten Gesellschaft mit eigener Fabrik („Neue Maschine“). Auch die kleineren Konkurrenten zogen im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach und bildeten größere Betriebe, kauften gemeinsam Maschinen und konnten sich so allmählich zu wirklichen Industriebetrieben entwickeln.

Auf diese Weise entstanden in Lambrecht und Weidenthal innerhalb von nur 15 Jahren sechs Tuchfabriken (Alte und Neue Maschine, Dorfmaschine, Schloßmaschine, Neidenfelser Maschine und Weidenthaler Maschine). Casimir Wagner rief außerdem eine Walkmühlengesellschaft ins Leben und richtete unter eigenem Namen die erste regelrechte Fabrik ein.

Trotz dieser Industrialisierung verschliefen die Lambrechter Tuchmacher einen wichtigen Trend – anstatt auf mechanische Webstühle umzustellen, blieben sie bei der Tuchfertigung auf Handwebstühlen und konnten daher auf lange Sicht nicht mit der Konkurrenz Schritt halten. Auch weiterhin gab es Betriebe, die sich auf Haushaltsgröße bewegten – noch 1871 verzeichnet das Handels-Register des Königreichs Bayern für Lambrecht mit 2228 Einwohnern neben den genossenschaftlichen Tuchfabriken und den Großbetrieben J. J. Marx, Jacob Oehlert und Wagner & Wurster weitere 65 Tuch-, Watten- und Garnfabriken sowie einige Färbereien und Gerbereien.

Die Wagners hatte sich aus sehr einfachen Verhältnissen emporgearbeitet. Im Laufe der Industrialisierung hatten sie den Anstoß zur Gründung genossenschaftlicher Fabriken in Lambrecht gegeben und hielten Anteile an mehreren dieser Unternehmungen. Später hatten sie eigene Fabriken gegründet und waren zu einer der erfolgreichsten Unternehmerfamilien im Pfälzerwald aufgestiegen. Bereits 1834 waren Stoffe von Cas. Wagner auf der Bayerischen Industrie-Ausstellung mit der silbernen Ehrenmedaille ausgezeichnet worden. 1853 wurde C. Wagner & Wurster die große Ehrenmedaille in Gold zuerkannt, die Ludwig Wurster als Mitglied der Prüfungskommission jedoch ablehnte.

Mitte der 1850er Jahre übernahm C. Wagner & Wurster eine weitere Fabrik im benachbarten Weidenthal, deren Leitung Ludwig Wurster übertragen wurde. Wagner & Wurster war nun die mit Abstand größte Tuchfabrik im Pfälzerwald; 1860 betrieb das Unternehmen drei eigene Dampfkessel und beschäftigte über 130 Mitarbeiter an den Standorten Lambrecht und Weidenthal – so viele wie alle vier genossenschaftlichen Tuchfabriken zusammen, und das Doppelte des nächstkleineren Betriebs J. J. Marx. An „seinem“ Standort Weidenthal ging Ludwig Wurster weit über das ortsübliche Maß an sozialer Verantwortung hinaus und bot seinen Arbeitern freie Wohnung, Unfallversicherung, Betriebskrankenkasse und sogar Heizung mit Brennholz-Deputaten.

1859 erwarben Wagner und Wurster die Wolltuchfabrik von L. G. Dietsch bei Straßburg (Route de la Wantzenau, La Robertsau). Ludwig Wurster übernahm die Leitung und zog mit seiner Familie ins Ruprechtsauer Quartier Rouge. In Straßburg erblickten fünf weitere Kinder das Licht der Welt: auf Théophil (*1860) folgten Emilie (*1864) und Erard (*1868) sowie nach einer Fehlgeburt die beiden Nachzügler Hugo (*1875) und Rudolf (*1876).

Die Ruprechtsauer Fabrik war eine fortschrittliche Anlage – im Zentrum die Tuchfabrik mit riesigen, vom Muhlwasser angetriebenen Mahl- und Stampfwerken, drumherum die Wohnbaracken für die Arbeiter und elegantere Häuser für die Verwaltungsmitarbeiter. Die Fabrik, bestehend aus Färberei, Spinnerei, Weberei, Trikotweberei, Walk und Appretur, produzierte hauptsächlich Buckskin-Gewebe. Auch hier verzichtete Wurster weiterhin auf mechanische Webstühle. Lediglich in der Trikotweberei kamen drei mit Wasserkraft betriebene Rundwebstühle zum Einsatz.

Als Straßburg im Deutsch-Französischen Krieg hart umkämpft wurde, richtete Ludwig Wurster in seiner Fabrik ein Lazarett ein, in dem er zeitweise über 180 Verwundete beider Kriegsparteien pflegte. Über das Schicksal der Fabrik in der Belagerungszeit finden sich widersprüchliche Angaben – der Süddeutsche Telegraph in München berichtet, die Fabrik sei am 31. August von den Franzosen in Brand geschossen worden und bis auf die Grundmauern abgebrannt; der Schwäbische Merkur weist dies als Falschmeldung aus, führt dabei aber an, am 28. August sei die Fabrik noch unbeschädigt und alle Bewohner bei bester Gesundheit gewesen. In jedem Fall ging der Betrieb nach dem Krieg zunächst weiter.

Noch im Juni 1871 inserierte Wurster im Merkur und suchte 20 Tuchmachergesellen. Im Folgejahr beschloss er jedoch, die Tuchmanufaktur aufzugeben und sein Etablissement in eine Papiermanufaktur umzuwandeln. Er gründete zunächst eine Aktiengesellschaft, um die erforderlichen Investitionen tätigen zu können. Am 4. November 1872 versteigerte er die Produktionsanlagen, dann baute er die Fabrik auf eigene Kosten um. 1874 wurde der Standort Weidenthal veräußert; Ludwig Wurster übergab seine Anteile an Casimir Wagner, der den Namen C. Wagner & Wurster für den Standort Lambrecht beibehielt. Im Mai 1875 ging die Neue Straßburger Papiermanufaktur an einen neuen Besitzer über; die Aktiengesellschaft wurde liquidiert.

Die Fabrik war vor dem I. Weltkrieg einer der größten Feinpapierproduzenten Europas. Sie existiert noch heute und wird seit 2013 von einem neuen Inhaber betrieben.

Schon 1874 hatte sich Ludwig Wurster aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und hatte eine Etage in einem altehrwürdigen Bau im Zentrum Straßburgs bezogen (Lezay-Marnesia-Staden 3). Hier brachte seine Frau, bereits über 40-jährig, noch zwei Söhne zur Welt – Rudolf (1875) und Hugo (1876). Beide starben 1879 binnen zwei Wochen an den Masern. Nach der Vermählung ihrer Tochter Elisabeth mit Hans von Landwüst im Folgejahr zogen die Wursters nach Baden-Baden, wo Ludwig Wurster am 14. Februar 1890 verstarb und zwei Tage später bestattet wurde. Seine Witwe lebte von 1892 bis 1907 wieder in Straßburg, kehrte dann aber nach Baden-Baden zurück.

Eltern:

 
Gottlieb Matthäus Wurster
(1791–1858)

Charlotte Friederike Christiane Wagner
(1799–1825)

Ehepartner:

Elisabeth Wagner (1834–1922)

Kinder:

Geschwister

[Gottlieb Matthäus Wurster x Charlotte Friederike Christiane Wagner]
  • Friedrike Sophie Elisabeth Gehrung vww. Schöttle (1819–1873)
  • Amalie Charlotte Wilhelmine Wurster (*†1822)
  • Mathilde Wilhelmine Juliane Wurster (*† 1823)
  • Luise Wilhelmine Wurster (1824–1826)

Halbgeschwister

[Gottlieb Matthäus Wurster x Charlotte Friedrike Magdalene Kolb]
  • Anne Luise Christine Friedrike Wurster (1829– )
  • Paul August Gottlob Wurster (1833-1896)
  • Wilhelm Albert Friedrich Wurster (1837–1991)
  • Paul Friedrich Wilhelm Wurster (1838–?)

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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