Catherina Godwin: Agonie einer Liebe

Agonie einer Liebe

Paradiesvögel ::: Max Švabinský

AGONIE EINER LIEBE

Von Catherina Godwin

„Und dann warst Du ganz entzückend und rührend verlegen, als Kowalsky hereinkam, und Du so ängstlich warst, daß er vielleicht etwas bemerkt hätte –.“

Sera saß, das Köpfchen an Harrys Schulter gelehnt.
Sie schaute den leisegleitenden, seltsam sich wirrenden und krümmenden Linien des Rauches nach, der aus Harrys Zigarette aufsteigend, langsam mit den Schatten des Zimmers sich verwob.
Hell reflektierte der Schein des Lichtes auf der weißen Tischdecke, wo noch die japanischen Teetassen und die kleinen Kuchen standen. Der Raum dämmerte im rötlichen Lichte des Lampenschirms.

„Ach, und der Abend, an dem ich so unvermutet Dich traf – und Du dann wortlos mit mir kamst – Sera – Geliebte – jener Abend … er war wohl der schönste, seligste meines Lebens!“
– – – –
„Und meine Unruhe – weißt Du – den Sonntag, als wir wegen dieses dummen Mißverständnisses uns verfehlten – meine wahnsinnig gesteigerte Unruhe! – ich war wie ein Verrückter … Du hast ja gar keinen Begriff von dem verzweifelten Zustande, in dem ich mich befand –“
–  –  –  –
„– ich hatte mich selbst einer so krankhaften Empfindung nicht für fähig gehalten –“

Harry schwieg.
Regelmäßig in die Stille tönte das Ticken der bronzenen Standuhr.
Wieder eine feine dunstige Wolke, die zitternd nach dem Tisch hinrankend, mit vielen tastenden Armen, das rote Licht umwarb.

„Und das hellblaue Foulardkleidchen, … als Du darin hereinkamst mit dem großen Rosenhut – immer sehe ich Dich so – – dieses Kleid – nie wieder hat Dir etwas so hinreißend gestanden –  – ein Gedicht! – ein Porträt aus zartestem Pastell – – es ist zu schade, daß Du Dich nicht so hast photographieren lassen … die schönsten Stunden meines Lebens – alle Träume meiner Erinnerung – knüpfen sich an dieses Kleidchen. – –
Immer sehe ich Dich so – – unvergleichlich – – und doch habe ich es so grausam zerknüllt – – “

Schweigen.

– – – –
Weißt Du noch, wie ich zum ersten Male, wie zufällig Deine Hand berührte? – es war natürlich Absicht – Du kannst Dir gar nicht denken, welch maßlose Empfindung!! – Du weißt, ich bin so sensibel, so hyperempfindsam … ich reagiere so sehr auf die kleinen Dinge in dem fast unbewußten, werdenden –
… Gott, und der ganze herrliche Sommer! das Seltene, das Risquierte – Gott, war das alles schön!“
– – – –

Harrys Arm lehnte um Seras Taille, seine Hand ruhte regungslos auf dem buntgeblümten Sofa.

Sera sah hinab auf diese Hand.

„Und wie wir damals mit dem dicken Fred aus dem Theater kamen, und der törichte Kerl wich und wankte nicht, und wie Du dann so raffiniert die Geschichte mit dem Auto inszeniertest – das war wirklich genial! –“
– – – –
„Ich glaube, dieser Abend, ja dieser Abend war doch wohl der wundersamste von allen – –
… Gott, Liebe – wie ein fernes Paradies erscheint mir heute alles – fast zu schön um wahr zu sein – – – “

Sera sah noch immer still auf seine Hand.
Sie löste leise seinen Arm, der apathisch um ihren Körper, wie leblos lag, sie hob behutsam ihren Kopf von seiner Schulter und lehnte sich schweigend in die andere Ecke des Sofas zurück.

Harry schien es nicht zu bemerken.

Ihre Blicke fielen auf das Oelgemälde der Urgroßtante, mit der weißen Spitzenhaube und den breiten gelben Schleifen; in den beringten Fingern hielt die Ahne eine steife Sonnenblume und lächelte seltsam stereotyp zu dem jungen Paar herab.
„Warum nur alle in der Familie sagen, daß ich dieser Großtante ähnlich sehe?“ dachte Sera müde, „keine Spur von einer Ähnlichkeit –“

– – – –
„Dann der entzückende Abend, an dem Petersen die famose Rede hielt, und wir so fabelhaft ausgelassen waren – damals hast Du mich noch so schlecht behandelt – –“
„– – Übrigens der Petersen hat zweifellos Talent – seine Bilder, die er jetzt ausgestellt hat – das ist schon was – – 
Warst Du noch nicht dort? – – Geh mal hin, sieh Dir’s an – – – Gleich links vom Eingang, das Porträt der Bellony – ich sage Dir – Klasse! – – Ich denke bis 6 Uhr ist immer geöffnet …
glaubst Du übrigens, daß er mit der Bellony etwas gehabt hat?“

Sera: „Keine Ahnung – schon möglich – “

„Ich weiß nicht, was die Leute alle an der Person finden – – mich läßt sie ganz kalt – – – ich kann mich überhaupt für diese Hyperästhetischen nicht erwärmen – – die Elly war ja auch riesig schlank – – aber da war doch wenigstens ’n bißchen was dran – … allerdings neulich, auf der Soirée bei Geldners sah sie recht gut aus … tadellose Toilette – so ’ne gestickte Crèpe-de-chine-Chose – – – übrigens ein kokettes kleines Luder – hat mächtig mit mir kokettiert – – ich glaube, es würde mir gar nicht schwer fallen, dem guten Petersen da ein wenig ins Handwerk zu pfuschen –“

Pause.

„Hm – tja – ja – – von was hatten wir gleich gesprochen? – ach so, richtig! – – ja – an dem Abend, als Petersen die famose Rede hielt – und Du dann plötzlich verschwunden warst – ganz heimlich – ohne mir Adieu zu sagen – weißt Du, damals hatte ich schon das unklare Ahnen eines Kommenden, da fühlte ich plötzlich – fast intuitiv, – daß wir uns lieben würden. Du weißt, ich ahne die Dinge so im voraus – ich bin so sensibel für das Kommende – mein Flair – Du, bitte, hast Du kein Streichholz? Die verfluchten Benzinapparate taugen rein gar nichts! – – Absoluter Schwindel! – Wenn man nicht den ganzen Tag steht und die dummen Dinger auffüllt.“

Die junge Frau reichte ihm ein brennendes Streichholz.

„Danke sehr.“
– – – –
„Siehst Du, mein Kind, – ich bin keiner dieser oberflächlichen jungen Leute, die derartige Dinge so leicht nehmen, wie es heute meist üblich – – in mir ist alles dies ein exklusives, herrliches Erleben, das ich für stets in meinem Erinnern trage …“
– – – –

Pause.

Sera saß hineingeschmiegt in die bunte Seide der Kissen. Die weichen Falten ihres Kleides flossen zärtlich an ihm hin, sie war so nahe ihm – und dennoch schien er ihr unerreichbar fern.Ein ödes Gefühl der Verlassenheit beschlich quälend ihre Nerven. – Sie fröstelte.

Es war eine Schande, daß die Zentralheizung wieder so schlecht funktionierte –

– – – – 

Und sie begriff, daß er vergaß, daß sie lebend neben ihm atmete, mit allem reichen Empfinden verschwenderisch harrender Liebe – daß sie selbst diese Frau war, von der er ihr aus seinen erinnernden gedanken, wie von einer anderen, fremden, längstverlorenen sprach.

Sie erkannte, daß er sich heimlich von ihr löste, mit seinen rückwärtstastenden Gefühlen, fort aus ihrer Gegenwart – fort aus ihrer Zukunft – in die Vergangenheit flüchtend, – in der er jene andere suchte und gegenwärtig träumte, die sie selbst ihm nicht mehr war und nie mehr sein konnte.

Und während er Bild um Bild aus fernen lichten Sommertagen holte, fühlte sie, daß er mit jener Glücklichen, im hellblauen Foulardkleid, sie betrog. –

„Sonderbar – ich bin eifersüchtig auf mich selbst,“ dachte Sera und starrte in das Lampenlicht –
– – – –
„Sonderbar – er liebt mich – aber er liebt mich im Imparfait – – heute bin ich für ihn schon ein Outsider unseres Glücks – “
– – – –

Einen Moment trieb es sie, als müsse sie jetzt vor ihm niederstürzen, ihm erklären – ihn bitten, irgendwie für ihre Gegenwart kämpfen.
Aber regungslos verharrte sie in gleicher Stellung.

Ihr schien es, als dürfe sie sich nicht rühren, ihn nicht ansehen, damit er nicht in plötzlichem Erkennen, den Tod an seiner eigenen Liebe begriffe.

– – – –

Harry warf das Ende der Zigarre in den Aschenbecher. Es seufzte verlöschend im Grunde der Schale auf …

Weißt Du noch – – ? – tönte das Echo in ihren Gedanken – weißt Du noch damals, als wir – – – –

Blumen, die man auf einem Grab pflückt – fühlte sie.
Wie sangen doch die Soldaten?

– Weißt de noch – die schönnen Mai-en-ta-ageh? – – 

Das fiel ihr jetzt ein.
Wie ging doch gleich die Melodie weiter? und wie der Text?

– Maien-ta-ah-geh – –

Weiter wußte sie nicht.

Maien-ta-ah-geh – –
– – Maien-ta-ah-geh – –

Lächerlich, wie einen solch törichte Melodie verfolgen konnte! – –
– – – –

„Noch kehrt er wieder ahnungslos“ – dachte Sera – „noch klammert er sich bei mir an mein Bild des Erinnerns – – – heute noch begreift er nicht sein verlorenes Gefühl – in ein paar Wochen – übermorgen – morgen vielleicht – wird er die Wahrheit nüchtern erkennen – und sie mich hemmungslos und rückhaltlos wissen lassen.

Keinesfalls darf das geschehen! – Keinesfalls“

– – – – 

Hilflos tasteten ihre Blicke von der beleuchteten Tischdecke zur Wand.
Gemächlich lächelte ironisch und stereotyp die Urgroßtante mit der Sonnenblume, zu dem jungen Paar herab.
Dieses Lächeln machte einen wirklich nervös! –

„Ich werde das Porträt in den Korridor hängen lassen,“ dachte Sera, „es paßt überhaupt nicht zu der modernen Einrichtung.“

Lautlos erhob sie sich – ging auf den Flügel zu – und stellte sich Harry gegenüber.
Sie schaute unverwandt nach dem jungen Mann, der dort nachdenklich auf dem kleinen geblümten Sofa lehnte.

„Ein hübsches Bild – sehr fein im Tone,“ dachte Sera: „Interieur oder so ähnlich –“

„Es ist bei Ihnen immer so gemütlich,“ hatte Harry gesagt, als er von der Kälte draußen in den dämmrigen Salon trat. „Gemütlich – ja – gemütlich. – – “

– Ein sehr gemütlicher Nachmittag.

– – – –

„Harry“, sagte Sera plötzlich unvermittelt, „Harry, ich muß Dir etwas sagen: – Ich liebe Dich nicht mehr!“

Ihre Worte tönten hell durch die Stille des Zimmers. Sie wunderte sich selbst, wie schlicht und wahr diese Lüge klang.
Eine dicke Fliege, mit grünlich schillernden Flügeln, kreiste brummend um die Teetassen, und setzte sich auf einen runden Kuchen mit Pistazienguß. Dann hörte man nur das rhythmische Ticken der Uhr, als pulsiere duch das Schweigen ein angstvoll tönender Herzschlag.

Harry starrte fassungslos hinüber zu der Frau. Ein eigentümliches Erstaunen bewegte seine Blicke, die ohne Begreifen nach ihr irrten.

„Wie?“ sagte er nachdenklich, „bist Du wahnsinnig geworden? Was sind denn das nun plötzlich wieder für Geschichten! – Das ist – das ist ja nicht möglich! – – “

Sera sah schweigend der dicken, grünlich schillernden Fliege zu, die gefräßig auf den bunten Kuchen kroch.
„Ob die wohl überwintert?“ frug sie sich.

„Das ist – ist wieder eine Deiner Unglaublichkeiten,“ hörte sie seine erregte Stimme – „daß Du sowas sans façon – aus heiterem Himmel – einfach so hinschleuderst – – direkt typisch!“
Harry hatte sich brüsk erhoben.
Er stieß dabei gegen den Teetisch; die Flammme der Lampe zuckte flackernd auf – die Teetassen klirrten wie in Schreck, aufbrummend flog die dicke Fliege gegen den heißen Zylinder und raste dann ziellos im Zimmer hin und her.

„Sie hat sich verbrannt,“ dachte Sera, „es tut ihr was weh – – “

„Weißt Du,“ sagte Harry, indem er dicht vor seine Geliebte hintrat, „das hätte ich denn doch nicht von Dir erwartet, – daß Du so frostig – so rücksichtslos – so plötzlich – – “

„Es ist nicht plötzlich,“ erwiderte sie matt, „ich fühle schon lange, daß alles aus ist. – “

„ – – Dann hättest Du eher – gleich – “

Seras Lippen teilte ein hilfloses Lächeln.
Das Lächeln erstarrte auf ihren Zügen.

„Wenn er doch ginge,“ dachte sie gequält.
Sie wandte sich langsam fort und schritt dem Fenster zu.
Der hohe Pfeilerspiegel warf ihr Bild zurück, und plötzlich erkannte sie in ihren Zügen das stereotype Lächeln der Urgroßtante mit der Sonnenblume.

„und das gerade in diesem Moment – heute! – ausgerechnet heute! – – wo ich Dir so von meiner Liebe sprach!“ drangen vorwurfsvoll seine Worte, wie durch Nebel zu ihr –
„Du bist mir unverständlich! – solche Dinge sind mir einfach unverständlich! – Du hättest eine andere Form – – “

Beide schwiegen.

„Ich bin Dir nicht böse,“ hub Harry endlich wieder an, „und vielleicht nicht einmal wirklich überrascht. – – Aber ich habe Dich immer richtig gesehen – oh! meine Liebe – ich habe Dich von Anfang an durchschaut! dieses Sprunghafte – Unfertige – dieses Suchen nach Besonderem – wahrscheinlich findest Du Deine Handlung noch obendrein apart! –
Du bist ja überhaupt gar nicht fähig zu einem richtigen abgeklärten Gefühl! Spielerei – Nervosität – Kaprice – Einbildungen sind Deine Gefühle!
Pure Hysterie!
… Nun, das Leben wird Dich auch noch lehren und leiden lassen, und Du wirst auch noch einmal erkennen müssen, was es heißt, Gefühle dieser Art, wie die meinen, so sans façon mit Füßen zu treten! Du wirst auch begreifen, daß es andere höhere Gefühle gibt, weniger spontaner Art wie die Deinen. –
– Hier! – auf diesem Platze – hier! – gerade hier! – hast Du das letzte Mal gekniet und mir so überzeugt von Deiner Liebe gesprochen –
– ach lachhaft! traurige Komödie!
– einfach lachhaft!
Gelogen – ! – alles gelogen – ! – –
Ihr Weiber lügt ja alle – “

Seine Hand deutete immer noch abwärts auf einen Punkt des Smyrnateppichs, wo einige verschlungene Ornamente sich ineinanderkrümmten.

„Nun gut,“ sagte Harry, und richtete sich in seiner ganzen Höhe auf – er zupfte seinen Anzug zurecht und faßte nach seiner Krawatte, „mögest Du nie Deine Worte bereuen,“ er strich sich glättend über die Frisur, „wie gesagt: ich gehe jetzt – Du wirst ja nichts dagegen haben – da Dir an meinen Gefühlen nichts mehr liegt.
– Adieu. – “

„Adieu, Harry,“ erwiderte sie leise, „sei mir nicht böse – es ist besser so. – “

Er öffnete die Türe und trat hinaus auf den Korridor. Sera folgte ihm apathisch und sah schweigend zu, wie er sich den Pelzmantel anzog.

Der Pelzmantel hatte vier Knöpfe. Er knöpfte sie alle vier mit einer energisch-verächtlichen Geste zu, als würde er für immer sein Herz luftdicht dem Leben verschließen.
„Was werden wohl seine letzten Worte sein?“ dachte sie unwillkürlich –

„…mein Spazierstock? … ich hatte ihn doch – – ach da – – “

Einen Moment schaute er unschlüssig auf sie, dann fiel die Türe zwischen ihnen ins Schloß.

 
 
In: Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. Jg. 1913, Heft 22, S. 626

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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