Catherina Godwin – des bewegten Lebens vierter Teil

Vorangegangener Artikel: Frau ohne Plural – Schlüssel zur Psychoanalyse der Catherina Godwin


Das bewegte Leben der Catherina Godwin

Vierter Teil: Frau im Kreise – die Goldenen Zwanziger

1920 verirrt sich ein Beitrag von Catherina Godwin in den Reigen – augenscheinlich entspricht das frivole Blättchen ihren Wünschen der Selbstinszenierung. Im selben Jahr erscheint im Hyperionverlag (der seit 1913 nicht mehr Hans von Weber gehört und seit 1917 von Kurt Wolff geführt wird) ihr drittes Buch, Die Frau im Kreise. Der fragmentarische Roman beschreibt die Wandlungen einer Frau, die ihres Lebens müde ist und ihren Selbstmord dreimal dadurch begeht, dass sie ihr momentanes Leben spontan aufgibt, um in eine neue Identität zu fliehen. Ihr Weg durch drei verschiedene Lebensrollen führt sie schließlich wieder an den Ausgangspunkt ihrer Flucht. Während auch hier autobiographische Züge unverkennbar sind, bricht die Frau im Kreise doch mit der bisherigen Linie und lässt einen wesentlich veränderten literarischen Stil erkennen. Die Godwin gibt ihre als Ich-Erzählerin verfassten Episoden auf und wendet sich der auktorialen Perspektive zu. An die Stelle eigener, ihren Reiz aus dem tiefsinnigen Ausdeuten des scheinbar Belanglosen schöpfender Erlebnisse treten sorgfältig konstruierte, mitunter recht gekünstelt und symbolhaft wirkende Lebenssituationen einer fiktiven Antiheldin. Das Werk wird von illustren Kritikern wie Oskar Loerke hoch gelobt.

1922 verewigt Franz Blei in seinem Großen Bestiarium der modernen Literatur die wichtigsten deutschen Literaten. Auch Catherina Godwin ist darunter – und sie schneidet im Vergleich mit den meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen sehr gut ab:

Die Godwintrine. — Eine schöne pusseliche weiße Katze mit chronischen Tintenflecken am Fellchen. Sie kam nämlich auf einem Schreibtisch zur Welt und hält daher dieses Möbelstück für den natürlichsten Aufenthalt der Katzen. Sonst sehr empfindlich gegen alle Unsauberkeit macht sie sich aus den Tintenpatzen gar nichts.“

Franz Blei: Das Große Bestiarium der modernen Literatur. Berlin, Rowohlt 1922

 

Es ist offensichtlich, dass Franz Blei, der Catherina Godwin bereits mindestens seit ihrer Ankunft in München kennt, über ihre Herkunft im Bilde ist. Den Katzen-Vergleich hatte schon Kasimir Edschmid zwei Jahre vor Blei bemüht – möglich, dass Blei im Bestiarium auf seine Kritik anspielt. Denn Edschmid bescheinigt der „silberblonden aparten Frau Godwin“, in ihr sei „alles Kätzchenhafte gesammelt bis an den Punkt, wo das Weibliche ins Häschenhafte übergeht“ (Edschmid, Kasimir: Die doppelköpfige Nymphe. Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart. Mit ein paar Ausnahmen geschrieben im Dezember Neunzehnhundertneunzehn. Berlin, Paul Cassirer 1920. > Textpassage lesen)

Folgt man Edschmid, so gehört Catherina Godwin gemeinsam mit Ricarda Huch, Else Lasker-Schüler und Annette Kolb zu den einzigen Frauen im Literaturbetrieb, deren Werk Erwähnung verdient. Wenngleich man sich dieser Einschätzung nicht anschließen muss, ist sie doch ein weiterer Beleg für den hohen Stellenwert Catherina Godwins in der zeitgenössischen Rezeption. Das Häschenhafte dürfte sich Edschmid übrigens im Überschwang der Hormone eingebildet haben; überall dort, wo Catherina Godwin kokettiert, dient die verführerische Pose nur dazu, den Kontrast zu der mit tödlicher Sicherheit folgenden Entlarvung und Demontage des männlichen Gegenübers oder des eigenen Ich zu steigern. Denn in der Fiktion wie in der Realität bleibt es dabei: Catherina Godwin hat keinen Plural, kein Interesse an einer realen Vereinigung mit Männern.

Trotz ihrer in den Begegnungen geäußerten Überzeugung, sie habe nur Momentaufnahmen, keine Romane, versucht sie sich nun an ebenddieser Literaturgattung. Im Musarionverlag erscheint 1922 die Novelle Der Gast vom Gelben Zimmer. Gleichzeitig erleben die Begegnungen mit mir ihre 6. bis 8. Auflage. Im Folgejahr erblicken gleich drei Romane das Licht der Welt: Geldjäger (Scherl 1923), Der Mieter vom IV. Stock (Ullstein 1923) und Die Brendor AG (Ullstein 1923). Letzterer gehört mit Arthur Schnitzlers Die kleine Komödie und Anna Seghers Aufstand der Fischer von St. Barbara zu den Werken, die der junge Sándor Márai ins Ungarische übersetzt. Einen weiteren Roman, Die Treppe, bringt Reclam 1924 heraus. Zu dieser Zeit ist Catherina Godwin bereits über die deutschen Grenzen hinaus bekannt. In Frankreich und Spanien zitiert man sie ebenso wie in den Niederlanden, in Slowenien und in Böhmen.

Schon mit der Frau im Kreise ist sie von der Ich-Erzählerin in die auktoriale Perspektive hinübergeschlüpft, ihre Personen haben nun Namen – ein deutliches Indiz dafür, dass wir es mit Fiktion zu tun bekommen. Catherina Godwin schreibt nun für das große Publikum, man merkt es ihren Büchern an – sie sind nicht schlecht, aber sie wiederholen sich, und häufig haben sie den Beigeschmack des Schulmeisterhaften.

1925 tritt Catherina Godwin wieder mit einem politischen oder auch menschlichen Statement in Erscheinung. In einer von Magnus Hirschfeld im Namen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees seines Instituts für Sexualwissenschaft initiierten und an das Reichsjustizministerium gerichteten Denkschrift gegen den § 267 Unzucht unter Männern, den so genannten „Schwulenparagraphen“, findet sie sich unter den Unterzeichneten. Dabei fällt auf, dass unter den 419 Personen, die sich den Forderungen Hirschfelds anschließen, lediglich 10 Frauen genannt sind. Neben Catherina Godwin sind dies die Frauenrechtlerinnen und Sozialreformerinnen Grete Meisel-Heß, Adele Schreiber und Helene Stöcker, die Pazifistin Prof. Käthe Kollwitz, die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salome, die Schauspielerin Luise Dumont, die durchaus nicht überraschend hier auftretenden Schriftstellerinnen Sophie Höchstetter, Annemarie von Nathusius und Gabriele Reuter, sowie – quelle surprise! – die erzreaktionäre Lübecker Vielschreiberin Ida Boy-Ed.

Postkarte von Benlliure an den Marqués de la Vega-Inclán:

Benlliure an Vega-Inclán: “Ich traf in Madrid die berühmte Schriftstellerin Godwin aus München”

 

Ebenfalls 1925 bereist Catherina Godwin Spanien, die Kanarischen Inseln und Marokko. Am 6. Mai berichtet die Tageszeitung ABC Madrid:

Escritora alemana

Málaga 4, 8 noche. Llegó la escritora alemana Catherina Godwin, que recorre España en viaje des observación, para escribir un libro sobre los valores ignorados de nuestra país.
— (Deutsche Schriftstellerin – Die deutsche Schriftstellerin Catherina Godwin ist zu einer Erkundungsreise nach Spanien gekommen, um ein Buch über die verkannten Werte unseres Landes zu schreiben.)

 

Catherina Godwin tritt in Spanien standesgemäß auf. Sie besucht Andalusien und Madrid, trifft die kunstsinnige Infantin Paz und den gefeierten Bildhauer Mariano Benlliure y Gil, überbringt auch eine Karte an den großen Kunstförderer Marqués Benigno de la Vega-Inclán. Das angekündigte Buchvorhaben scheint sie nicht in die Tat umgesetzt zu haben, ein Reisebericht über Spanien ist wohl nicht erschienen. Lediglich eine Artikelreihe mit dem Titel Spanische Silhouetten sowie einige Landschaftsfotos von den kanarischen Inseln schafften es in die Münchner Illustrierte Presse. In Granada versucht sie, einen Beitrag in spanischer Sprache über „das arabische Wunderland Andalusien“ an den Mann zu bringen, findet aber keinen Abnehmer – das Manuskript schlummert bis heute unveröffentlicht in einem spanischen Archiv.

Der Übergang zu unterhaltender Literatur bringt für Catherina Godwin neue Erfolge. Im Jahr 1927 erscheint bei Ullstein ihr letztes Buch: Das Hotel der Erfüllung. Es ist ein lesenswertes Buch, das erneut von Catherina Godwins scharfer Beobachtungsgabe für die psychologischen Kniffe lebt, mit denen Menschen die äußere Welt an ihre innere anzupassen verstehen. Und es ist ein beachtlicher Erfolg, die Auflage beträgt 130.000 Exemplare, und die Autorin ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit als führende Literatin präsent.

Als die Stadt München 1927, befeuert von einer Schmährede Thomas Manns, einen Literaturbeirat einrichtet, wird Catherina Godwin als einzige Frau in den Zirkel berufen. Sie ist in guter Gesellschaft: ihre Kollegen im Literaturbeirat sind Thomas Mann, Hans-Ludwig Held, Hans Baron von Gumppenberg, Prof. Wilhelm Weigand, Peter Dörfler und – eine merkwürdige Wahl – der Grafiker und Bühnenbildner Emil Preetorius. Im Literaturbeirat tut sich Catherina Godwin nicht eben durch eine revolutionär innovative Haltung hervor. Die Literaturpreise, die der Beirat vergibt, entsprechen zunehmend dem Erwartungshorizont des erzreaktionären und kulturfernen Stadtrats. Thomas Mann schlägt 1928 Gustav Meyrinks Roman Der Golem vor; Catherina Godwin stimmt für Hans Carossa, der für seine Jugenderinnerungen den mit 3.000 Mark dotierten Preis erhält. In den drei Folgejahren sind die Preisträger dann linientreue Autoren: Willy Seidel, Hans Brandenburg, Josef Magnus Wehner. Ein Ausrutscher passiert 1932 mit der von Catherina Godwin vorgeschlagenen, später als „entartet“ verschrienen Ruth Schaumann; im Jahr der Machtergreifung 1933 wird mit Hans Zöberlein wieder ein besonders dumpfes Exemplar deutschtümelnder Ignoranz mit dem Lorbeer der Isarmetropole bekränzt.


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Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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