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Das bewegte Leben der Catherina Godwin
Zweiter Teil: Frühe Erfolge in München – die Begegnungen mit Mir
Emmie legt ihre ersten großen Lebenserfahrungen schriftlich nieder. In skizzenhaften Prosastücken beschreibt sie ihre Gefühlswelt, ihr Verhältnis zu den Männern und vor allem zu sich selbst. Ab September 1908 ist sie in München gemeldet, sie mietet sich in einer Pension vis à vis der Akademie der Künste ein und tummelt sich in der Schwabinger Bohème. Im Handumdrehen steht sie im Mittelpunkt des Geschehens. Wohl über Franz Blei, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt ist und der sie in ihren literarischen Ambitionen unterstützt, lernt sie Hans von Weber kennen. Der Bonvivant und Verleger beschließt sofort, ihr Buch herauszugeben. Es erscheint 1910 unter dem Titel Begegnungen mit Mir – als Verfasserin wählt Emmie, wohl aus Rücksicht auf ihre Familie, das Pseudonym Catherina Godwin. Hans von Weber ist von der platinblonden, scharfsinnigen jungen Schönheit offenbar mächtig beeindruckt: Neben der Normalauflage lässt er eine Vorzugsausgabe von 100 Exemplaren auf englisches Büttenpapier drucken, von Hand nummerieren und bei Carl Sonntag jun. in edle Kalbslederbände binden. Ein Erstlingswerk in bibliophiler Luxusausstattung!
Enfant terrible, Mondaine, Stilikone
Die Begegnungen mit Mir werden ein voller Erfolg. Während die literarische Avantgarde sich in Lobeshymnen ergeht, hagelt es seitens des prüden konservativen Establishments Verrisse. Hans von Weber ist in seinem Element und kämpft im Zwiebelfisch mit spitzer Feder alle Anfeindungen nieder. In der Folge baut sich Catherina Godwin ein schillerndes Image auf. Wie in keiner anderen Schriftstellerin seit der Reventlow verbindet sich in ihr die tabulose Mondaine mit der gebildeten, kultivierten Denkerin. Sie ist der Stoff, aus dem die Träume wilhelminischer Herren geklöppelt werden. Auch im leicht exaltierten Münchner Kulturbetrieb, in dem sie sich tummelt, beeindruckt sie gleichermaßen mit ihrer attraktiven Erscheinung wie mit ihrem messerscharfen Verstand. Der sympathische Anarchist Erich Mühsam erinnert sich:
Die Durchsetzung der Gesellschaft mit Damen trug aber nicht dazu bei, die geistigen Ansprüche, die man anderwärts an sich selber stellte, zu steigern. Dies bedeutet beileibe nicht, daß ich etwa die lächerliche Anmaßung übernehmen wolle, die die allgemein geistige Überlegenheit des Mannes behauptet. Frauen, die als Persönlichkeiten von eigenem Wert in unsrer Gesellschaft verkehrten, wie die geistvolle schöne Catherina Godwin, konnten es wahrhaftig an Intelligenz und kritischem Blick mit manchem Mann von klingendem Namen aufnehmen.
Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen. Kapitel 20: Rummelplätze des Geistes. Berlin, Vossische Zeitung 1927–1929
Zu Catherina Godwins Bekanntenkreis zählt die Elite des literarischen München. Sie hat Kontakt zu Franz Blei, Frank Wedekind, Thomas Mann, Hans-Ludwig Held, Kurt Martens, Arthur Kutscher, Kasimir Edschmid, Gustav Meyrink, Roda Roda, Bruno Frank, Wilhelm Hausenstein und vor allem Carl Georg von Maassen, mit dem sie eine langjährige Freundschaft pflegen wird. Erich Mühsam vertraut seinem Tagebuch an: „Beginne mich neuerdings für die Godwin zu interessieren“, Lion Feuchtwanger reiht sie in seinem Diarium unter „als Wollustobjekte in Frage kommende Frauen“ ein. Trotz des verlegerischen Erfolgs ihres Erstlingswerks erscheint ihr zweites Buch nicht bei Hans von Weber, der sich zwischenzeitlich entschieden hat, seinen Hyperion-Verlag an die Kollegen Rowohlt und Wolff zu verkaufen, um sich ganz auf die Herausgabe seiner exklusiven bibliophilen Reihenwerke zu konzentrieren. Das nackte Herz, ebenso wie die Begegnungen eine Sammlung literarischer Skizzen, kommt daher 1912 bei Albert Langen heraus. Wieder ist offensichtlich, dass es sich zumindest zu einem großen Teil um autobiographische Episoden handelt (wobei sich schwer bestimmen lässt, ob sie den Stoff aus ihrer Ehe mit Jorge Vargas Suárez oder aus der Beziehung zu einem neuen Galan bezieht – mit einigem Recht vermutet Monika Dimpfl eine Liaison mit Carl Georg von Maassen). Erneut sind die Kritiker entzückt und die Spießbürger entsetzt. Fast allen gemein ist, dass sie Catherina Godwin recht oberflächlich lesen – je nach Gesinnung loben oder verfluchen sie ihren Wortwitz, ihre charmanten Causerien, ihre mondäne Erotik. Aber während die Einen nicht begreifen, dass es sich tatsächlich um eine persönliche Auseinandersetzung mit Selbsterlebtem handelt, sitzen die Anderen dem Irrtum auf, Catherina Godwin sei durch und durch unmoralisch, eine verkommene Kokotte, der Inbegriff weiblicher Dekadenz. Tatsächlich ist sie eine scharfe Beobachterin ihrer eigenen Psyche, und viele Passagen in ihrem Werk lassen darauf schließen, dass sie über umfassende Kenntnis der aktuellsten psychologischen Theorien verfügt.
Einer der wenigen, die schon früh die wahre Natur ihres Werks durchschauen, ist der Kunsthistoriker Emil Utitz, der anhand der Begegnungen den Beweis führt, das Echte sei ein wesentliches Kriterium der Ästhetik:
„[…] Und wer sich – um nur noch ein einziges Beispiel anzuführen – an den kecken Skizzen »Begegnungen mit mir« von Catherina Godwin gleichwie an raffinierten Leckerbissen ergötzt, ist sicherlich nicht nur formal gefesselt, obgleich die Eigenart der Gestaltung auch stellenweise sehr reizvoll ist, sondern nicht minder durch das überraschende Aufblitzen von Einblicken in sehr komplizierte und meist mit eisigem Stillschweigen überdeckte seelische Zustände mit der unmittelbaren Bewußtheit, daß hier wirkliches, zuckendes, fieberndes und dahingleitendes Leben erschaut und erfaßt wird.“
Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Enke, Stuttgart 1914. S. 191
Der jungen Schriftstellerin scheint es indes nicht unlieb zu sein, dass sie auf diese Weise in aller Munde ist. Dennoch bezieht sie verschiedentlich dazu Stellung; so beispielsweise im nackten Herz:
„Mein Herr, kehren Sie nun einmal um, was Sie kennen! Stellen Sie sich nicht die Frau vor, die tugendhaft aussieht und heimliche Abenteuer hat, stellen Sie sich die Frau vor, die nach Abenteuern aussieht und heimliche Tugend hat. Ja. Können Sie das? Nein.
Stellen Sie sich einen Menschen vor, der in einer modernen Stadt unter mondäner Maske die heimlichen Ambitionen eines Asketen hat. Haben Sie begriffen?“
Man hat seinerzeit tendenziell eher nicht begriffen. Das scheint Catherina Godwin jedoch nicht weiter zu stören. Sie leistet ihrem Ruf tatkräftig Vorschub, etabliert sich als Salonnière und äußert sich als „Dame von Welt“ in verschiedensten Journalen, Wochenschriften und Magazinen zu Fragen der Mode, des Stils und des Zeitgeschmacks. Als Dauerbrenner und Türöffner dienen ihr die ersten beiden Bücher.
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