Beim Blick in mein Bücherregal fällt mir auf, dass mittlerweile zwei komplette Böden mit Büchern beladen sind, die ich einem einzigen Mann verdanke: Hans von Weber. Genau genommen sind es sogar seine Bücher, die mich überhaupt erst zum Sammler gemacht haben – Grund genug, diesem Herrn ein paar Zeilen zu widmen.
Es begann damals mit seinen Monumentalausgaben der Nibelunge Not und der Kudrun aus den Jahren 1910 und 1911. Als ich die beiden Folianten erstmals in der Hand hielt, war ich überwältigt davon, wie es den Machern gelungen war, durch das Zusammenspiel von Papier, Einband und Typographie einem modernen Buch den Geist des hohen Mittelalters einzuhauchen: Jeder Band 5 Kilogramm handgeschöpftes Bütten, bei Einschedé mit historischen Typen gedruckt, von Carl Sonntag jun. in Ganzpergament auf Holzdeckel gebunden und vom damals noch jungen Altmeister Rudolf Koch mit kalligraphierten Deckel- und Rückentiteln versehen. Wer also war der Kerl, der das zuwege gebracht hatte?
Hans von Weber – Verleger, Spekulant und Bohemien – war im kulturellen Leben Münchens keine unscheinbare Erscheinung. Der sächsische Beamtensohn verlebte ebenso abwechslungsreiche wie fruchtlose Studienjahre in Lausanne, Freiburg, Heidelberg und Leipzig, während derer er bereits ausgiebig in Künstlerkreisen verkehrte, bevor er im Jahr 1898 ein Haus im Münchener Stadtteil Nymphenburg bezog. Dort heiratete er seine Frau Anna, geb. Jäger, die ihm bereits vier Monate später seinen einzigen Sohn Wolfgang gebar. Inwiefern der Umzug von Sachsen nach Bayern dieser kurzen Spanne zwischen Hochzeit und Vaterschaft geschuldet war, ist heute nicht nachvollziehbar. Charlotte von Weber, als Schauspielerin unter dem Namen Charlot Mor bekannt sowie unter dem Nom de Plume El Em Verfasserin der als ‚kleiner Dreiangeldruck‘ erschienenen Sauersüßen Liebeslieder, war Hans von Webers Schwiegertochter.
Auch in München pflegte Hans von Weber enge Kontakte zu literarischen und künstlerischen Kreisen und machte sich schnell einen Namen als Bonvivant, Mäzen und Kritiker ersten Ranges. Er gehörte zu der Runde kulturbeflissener Freigeister, die sich unter dem Namen „Das Junge Krokodil“ regelmäßig im Münchener Ratskeller einfanden und zu denen auch Gustav Meyrink, Eduard Graf Keyserling, Roda Roda, Erich Mühsam, Catherina Godwin, der junge Carl Sternheim oder Franz Blei gehörten. Mit seinem Engagement und seinem unermüdlichen Streben für Bücher von höchster Qualität erreichte Hans von Weber in kurzer Zeit als verlegerischer Autodidakt ein herausragendes Niveau und avancierte zu einer der einflussreichsten Personen der frühen Buchkunstbewegung. Durch seine guten Kontakte in die Kunstszene wurde er zum Entdecker wichtiger Künstler und Schriftsteller wie beispielsweise des jungen Alfred Kubin, dessen künstlerischem Werk er 1903 seine erste Verlegertätigkeit widmete, oder der Jugendstil-Ikone Aubrey Beardsley, dessen literarische Gehversuche er in deutscher Erstausgabe als Privatdruck für 246 Subskribenten herausgab. Auch Thomas Manns „Tod in Venedig“ erschien 1911 in Erstausgabe als bibliophiler Druck für die Hundert in Hans von Webers Hyperionverlag.
Hans von Weber war äußerst wohlhabend nach München gekommen, verlor jedoch um 1905 einen Großteil seines Vermögens bei Börsenspekulationen. Immerhin reichten die verbliebenen Mittel, um am 22. September 1906 den Hyperionverlag zu gründen, der sich zunächst auf moderne ausländische Autoren wie G. K. Chesterton und André Gide konzentrierte, um sich dann mehr und mehr der Bibliophilie zu widmen. Ab 1908 erschien in drei Jahrgängen die Zeitschrift „Hyperion“, die Hans von Weber gemeinsam mit Franz Blei und Carl Sternheim gründete. Der „Hyperion“ führte die Tradition der großen Magazine der Zeit fort: Pan und Insel. Neben jungen Schriftstellern wie Carl Sternheim, Hofmannsthal, Heinrich und Thomas Mann, Kafka, Rilke und Musil kamen auch Künstler wie die Simplicissimus-Zeichner Olaf Gulbransson und Emil Preetorius, der Typograph und Buchkünstler Walter Tiemann, Aristide Maillol, Auguste Rodin, Hans von Marees und viele mehr zu ihrem Recht.
Der Hyperion existierte nur zwei Jahrgänge, dann stellten Hans von Weber und Franz Blei die aufwändige Produktion ein. Franz Kafka widmete der Zeitschrift einen Nachruf, in welchem er den Grund für den Untergang des Hyperion in der mangelnden Annahme durch das deutsche Publikum zu finden meint [Bohemia, Jg. 84, Nr. 78, 19. März 1911]. Der tatsächliche Grund für das Aus lag jedoch wohl eher in dem Zerwürfnis zwischen von Weber und Blei – Näheres dazu in diesem Beitrag.
In der Zwischenzeit hatte Hans von Weber bereits ein neues, weniger anspruchsvolles und aufwändiges Magazinprojekt ins Leben gerufen: den Zwiebelfisch. Angeblich als Aprilscherz gedacht, war das Magazin mit dem Untertitel „Eine kleine Zeitschrift für Geschmack in Büchern und anderen Dingen“ vor allem ein äußerst wirksames Werbemedium für Verlagsankündigungen. Einer der Gründe für den Erfolg des Magazins war Hans von Webers Talent als Satiriker, gepaart mit seiner streitbaren Art, die er als begabter Jurist in zahlreichen Gerichtsverfahren unter Beweis stellte und gern in seinem Blatt dem öffentlichen Diskurs zugänglich machte. Der Zwiebelfisch war darüber hinaus die erste deutsche Zeitschrift, die sich mit der typographischen Gestaltung von Büchern auseinandersetzte, und konnte daher, wie zuvor der Hyperion, zahlreiche Beiträge hochkarätiger und vielbeachteter Buchkünstler wie Rudolf Koch, Paul Renner, Walter Tiemann, Rudolf Emil Weiß u.v.m. bringen.
Bereits seit Gründung des Verlages hatte Hans von Weber mit bibliophilen Kleinstauflagen für einen handverlesenen Subskribentenkreis experimentiert. Neben die Belletristik traten unerhörte, Aufsehen erregende Publikationen wie Hebbels Judith mit Zeichnungen von Thomas-Theodor Heine (1908) und erotisch eingefärbte Schriften wie Beardsleys Tannhäuser und Venus, die von Franz Blei edierte und mit Illustrationen von Constantin Somoff ausgestattete Rokoko-Frivolität Das Lesebuch der Marquise oder Wulfens Genussmensch – alles in erlesenem Satz und Druck, in bester Ausstattung und oft bei herausragenden Buchbindern der Zeit gebunden.
Ab 1909 vertiefte Hans von Weber dieses Erfolgsrezept, indem er seine Subskribenten mit bibliophilen Reihenwerken versorgte – zunächst die Hundertdrucke oder Drucke für die Hundert, dann in Zusammenarbeit mit S. Fischer die gleichermaßen luxuriös ausgestatteten Hundertfünfzigdrucke sowie die Hyperiondrucke, die Weber nach Verkauf des Hyperionverlags im Jahr 1913 unter dem Namen Dreiangel-Drucke fortführte. Besonders die Hundertdrucke, die auf eine Anregung des Antiquars Emil Hirsch entstanden und sich an eine feste Gemeinde von Subskribenten richteten, fanden über die Grenzen Deutschlands hinaus Anerkennung. Viele Bibliophile bewarben sich auf freiwerdende Exemplare, und man musste gute Referenzen vorweisen, um sich Hoffnung auf einen Platz in der erlauchten Gesellschaft machen zu dürfen. Bis 1929 erschienen 44 Bände in einer auf 100 Exemplare limitierten, teils signierten und besonders hochwertig gebundenen Auflage, von manchen Werken erschienen gar einige wenige Luxusdrucke auf Pergament. In seinem Bestreben, die äußere Form des Buches seinem Inhalt angemessen zu auszugestalten, bemühte sich Hans von Weber stets auch um passende Schriften. Er experimientierte mit Satzanordnung, Druck und Buchschmuck und ließ die Ausführung bei renommierten Druckereien wie Enschedé en Zonen in Haarlem, den Offizinen von Drugulin, Otto Regel, Breitkopf & Härtel und Poeschel & Trepte in Leipzig oder Richard Oldenbourg in München besorgen. Inhaltlich orientierten sich die Hundertdrucke am klassischen Kanon der deutschen Literatur, von Walter von der Vogelweide über Goethe, Jean Paul und Novalis bis hin zu Richard Dehmel und Walter Matthießen. Einige der Ausgaben waren illustriert, zu den Künstlern zählten Max Unold, Emil Preetorius, Bruno Goldschmitt, Franz Kolbrand und Hans Meid. Die Illustrationen wurden teilweise gesondert bei spezialisierten Betrieben wie der Königlichen Hof- Buch- und Steindruckerei von Dietsch & Brückner in Weimar oder der 1908 von Bruno Cassirer gegründeten und 1922 an Otto Felsing übergegangenen Pan-Presse abgezogen.
Die Reihenwerke waren das eine Standbein, das den Fortbestand des Verlages sicherte. Eine zweite Einnahmequelle stellten die in größeren Auflagen erscheinenden Klassiker-Ausgaben des Tempel-Verlags dar, den Hans von Weber am 2. Juli 1909 gemeinsam mit den Verlegern Eugen Diederichs, Samuel Fischer und Julius Zeitler, dem Drucker Carl Ernst Poeschel und dem Schriftgießer Georg Hartmann gründete. Die „Tempel. Bund Deutscher Verleger GmbH“ ging auf eine Idee Poeschels aus dem Jahr 1906 zurück, als Diederichs und Fischer Poeschel & Trepte mit dem Druck ihrer Goethe-Ausgaben beauftragten. Poeschel überzeugte beide, anstatt konkurrierender Klassikerausgaben eine gemeinsam, einheitlich hochwertig ausgestattete und wohlfeile Klassiker-Reihe herauszugeben. Für die Ausstattung versicherte sich der Tempel-Verlag der Mitarbeit des Buchkünstlers Emil Rudolf Weiß, dessen Fraktur-Schrift (von der Bauerschen Gießerei, Frankfurt) bis 1911 exklusiv für die Tempel-Klassiker eingesetzt wurde. Es erschienen das Nibelungenlied sowie Werkausgaben von Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing, Kleist, Heine, Mörike, Hebel, Eckermann, Körner und Uhland. Die langwierigen Abstimmungszyklen zwischen den beteiligten notorischen Perfektionisten veranlassten Hans von Weber zu der scherzhaften Verlagsbezeichnung „GmbH zur Verhinderung von Klassiker-Ausgaben“.
1913 beschloss Hans von Weber, sich ausschließlich auf seine bibliophilen Ausgaben und den ‚Zwiebelfisch‘ zu konzentrieren. Er verkaufte den Hyperion-Verlag inklusive der Verlagsrechte an allen Werken in Auflagen über 1000 Exemplare (also auch die Monumentalausgaben der Nibelunge Not, 1910, und Kudrun, 1911) an Kurt Wolff und Julius Schröder. Verlagsort wurde Berlin, die Leitung übernahm der junge Ernst Rowohlt, der seinen ersten Verlag in Leipzig gerade ebenfalls an Kurt Wolff verkauft hatte. Der Hyperionverlag Berlin wurde zum Imprintverlag des Kurt Wolff Verlages. Seine Anteile am Tempelverlag wollte Hans von Weber ursprünglich halten, wie er im Herbst 1913 im Zwiebelfisch ankündigte. Ein Jahr später, kurz nach Beginn des ersten Weltkrieges, veräußerte er sie jedoch ebenfalls, Käufer war ein Leipziger Drucker und Kleinverleger.
Nachdem Hans von Weber mit seinem Verlag die schwierigen Jahre des Ersten Weltkrieges und die Nachkriegszeit überstanden hatte, erkrankte er um das Jahr 1920 an Gefäßverkalkung, die ihn mehr und mehr an der Ausführung seiner ambitionierten Projekte hinderte; Alfred Kubin berichtet in einem Nachruf auf seinen Freund und Förderer [Bücherstube, 3. Jg. 1924, Ss. 320 – 322], dass sich dieser mehr und mehr aus der Öffentlichkeit in die Einsamkeit der Berge zurückzog, sein Lebenswerk als gescheitert betrachtete und trüben Gedanken nachhing. Am 22. April 1924, seinem 52. Geburtstag, verstarb Hans von Weber nach zweitägiger Bewusstlosigkeit an den Folgen eines Fieberanfalls. Sein Sohn Wolfgang von Weber führte die Hundertdrucke mit mäßigem Gespür und nachlassendem Erfolg fort, bis er den Verlag Hans von Weber schließlich 1928 an die ehemalige Verlagssekretärin Anna Roith verkaufte.
Wenige Jahre später war der Verlag völlig von der Bildfläche verschwunden. Nach dem zweiten Weltkrieg unternahm Anna Roith, nun am Verlagsort München-Obermenzing, noch einen erfolglosen Versuch, den Zwiebelfisch wiederzubeleben. Im 25. Jahrgang erschienen zwischen 1946 und 1948 acht Hefte. Ferner wurde Stifters Abdias, zuvor bereits als Dreiangeldruck erschienen, erneut aufgelegt, dazu gesellte sich ein Werk von Speedy Schlichter (Pseudonym für die Schauspielerin Elfriede Elisabeth Schlichter, geb. Köhler, 1902– 1975, Ehefrau und Muse des Künstlers Rudolf Schlichter). Als letzte Verzweiflungstat erschien im Jahr 1950 der Gesamelde Briefwexel fon Josef Filser junior von Ton Tonsen (Anton Eisenschink), mit Zeichnungen von Franz F. Feeling – ein belangloses Machwerk, dass aus dem bei Ludwig Thoma abgeklitterten Titel Honig zu saugen trachtet und dem geneigten Leser ein krauses Sammelsurium mäßig lustiger bayrischer Schenkelklopfer zumutet. Danach versinkt der Verlag Hans von Weber, 26 Jahre nach dem Tod seines Namensgebers, in der Vergessenheit.
23. August 2024
Vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag. Hans von Weber gehörte wohl zu den eigenwilligsten Verlegern der Buchkunstbewegung, der im Wesentlichen seine eigenen hohen typographischen, gestalterischen Ambitionen verfolgte und weniger einen wirtschaftlichen Erfolg, wie Kippenberg oder Diederichs. Tragisch. Interessant sind auch die Ausführungen zum Tempel-Verlag, über den ich allgemein recht wenige Informationen finde.
20. Oktober 2024
Hallo Herr Franssen,
danke für ihren Beitrag. Entschuldigen Sie bitte die späte Rückmeldung, aus irgendeinem Grund bekam ich erst jetzt eine Benachrichtigung zu ihrem Kommmentar – dafür gleich sieben mal. Schön, dass es offenbar Menschen gibt, die meinen Randgruppen-Blog tatsächlich lesen. Ich habe mich gerade mal auf https://juergenfranssen.de umgeschaut und freue mich, dass ich jetzt auch für einige Zeit interessanten Lesestoff gefunden habe.
Die Geschichte von Hans von Weber ist eines meiner Steckenpferde. Ich denke, zum Tempel-Verlag habe ich auch noch weitere Details – wenn es Sie interessiert, stöbere ich gerne nochmal in meiner Bibliothek.
Bibliophile Grüße
Andreas Schüler