ZWEI TRAURIGE GLOSSEN
Von Catherina Godwin
I. ENTLOBT
Da ich begriff — dieser Mann — lief ich weg. Ich lief die Treppe hinunter und weinte. Ich weinte aus einer großen Unruhe heraus, denn ich wußte, er würde mir Gutes tun, und ich habe mich gleich gepudert und einem anderen telephoniert, einem Kalten, einem Egoisten, einem Verräter von Klasse.
Es ist unsäglich schwer für einen Enttäuschungsdressierten — unsäglich schwer für Einen, der alle Schliche und Umwege des Unglücks kennt, auf den graden Weg des Glücks, einfach und freundlich geladen zu werden. Wenn man allen Mut für das Unglück verbraucht, wo sollte man noch den Mut für das Glück hernehmen?
II. INVALID
Manchmal sehne ich mich nach einem Manne mit einem Hüftenleiden oder mit einem Glasauge. Es wäre so, als trete in der Vereinsamung zwischen den Frohleibigen, ein Gemeinsames zwischen uns und erstände im Zimmer ein stummes beglückendes Aequivalent, da sein körperliches und mein seelisches Leiden, sich schweigend als Kollegen nahen.
Wenn krank und hungrig einer verlassen an der Straßenecke steht und stumpf des Weges glotzt, auf die niedrige Münze der Güte wartend, die mit nonchalanter Geste der Zufall ihm vor die lahmen Glieder wirft – dann schaue ich weg – denn ich kann mein Symbol nicht ertragen.
Und wenn ich seidenraschelnd, an der Seite eines Immergeschniegelten, lächelnd an ihm vorbeistolziere und er den bettelnden Hut von dem gebeugten Haupte zieht — so erröte ich, als stände dort mein heimlichster Galan — und ich ahne: er grüßt, da er erkennt, daß ich nur ein Spion an den Glücklichen, Sorglosen bin und heimatberechtigt zu denen gehöre, die irgendwo hocken, verlassen, gebrochen und stumpf des Weges schauen – hungernd die zufällige Geste der Güte erwartend.
Und ich fürchte, er weiß, daß ich ein Verräter bin am Leid, der sich kokett den bettelnden Hut auf die ondulierten Haare stülpt und schamlos die Not an das Glück verrät.
In: März, Jg. 1913, Bd. 7, Heft 4, Seiten 639-40