GEGENRHYTHMUS
von Catherina Godwin
Die Wache zieht auf!
Viele Leute laufen hinterdrein, immer im Takt — immer im Takt. Unwillkürlich schreite ich gegen den Rhythmus. Ich fühle mich gehemmt, meine Schritte mit dem selbstverständlichen Tempo Hunderter gemein zu machen.
Eine Allegorie meines Wesens — gehe ich so gegen den gegebenen Takt, allein eine leere Seitenstraße entlang.
Das ist der Faillit meiner Tage: der Exklusivtrieb.
Da mein ganzes Sein sich gegen die Unifomierung in Anarchismus auflehnt.
Irgendwo stehen im Grünen öffentliche Bänke. Ich bin wohl müde, aber die Bänke gehören Allen, es deprimiert mich, darauf zu sitzen — irgendwo wandere ich erwartungsvoll mit einem Herrn in der Stille, aber ein verschlungenes Paar löst sich vor uns aus dem Dunkel — mein Gefühl erstarrt — der Herr geht enttäuscht nach Hause — die Liebe gehört den Andern. Ich komme in ein Restaurant, aber mein Wunsch nach einem Entrecote bricht ungesättigt zusammen, da ich die Vielen mit Messer und Gabel essensfroh hantieren sehe. Selbst die Sonne kann mich nicht wärmen, wenn Massen erfreut aus dem Boden tauchen und rhythmisch im Chor wohlgelaunt rufen: Ach! Das schöne Wetter!
Und jemand, der mich von ungefähr begrüßt, sagt zu mir erstaunt unter der Sonne der Allen: — mein Gott, gnä Frau, was haben Sie doch bei dem warmen Wetter für kalte Hände. —
Catharina Godwin: Gegenrhythmus. In: Das Forum. Herausgegeben von Wilhelm Herzog. Bd. 1, April 1914, S. 39