Catherina Godwin – Hochzeitsreise

HOCHZEITSREISE

Von Catherina Godwin

 

Reinhold-Max Eichler ::: 1907

Reinhold-Max Richler ::: 1907

 

Bunte Streifen der Felder wandten sich in rascher Flucht – Telegraphendrähte stiegen, fielen – eilend jagte der Zug durch die sonnenflimmernde Landschaft. Weit blaute der leuchtende Himmel Italiens. Spielende Lichter glitten über den Strauß vielfarbiger Rosen, der auf Lyzzies weißem Kleide ruhte. Sie band langsam Blüten und Knospen auseinander — die schon ein wenig ermattet an hohen Stielen sich neigten – und breitete deren duftende Fülle vor sich auf dem seidenen Shawle aus. Unverwandt fühlte sie Achims zärtliche Blicke auf sich ruhen. Ihr schien es, als trüge der Zug in fliehender Hast, die fern und ferner von ihrem vergangenen Geschick, unaufhaltsam einer neuen, gemeinsamen, sonnendurchleuchteten Zukunft entgegen. Ein niegekanntes, wundersames Glücksempfinden berauschte sie, ein jubelndes Dahinfliegen in den heißen blühenden Tag hinein! – Ihre Gedanken zogen dem Zuge voraus und malten am flimmernden Horizonte, heitere Traumbilder kommenden Glücks. Fern tauchte ein unendlicher Friede auf , der die Erfüllung und Erlösung aller ruheloser Gefühle und wandernder Wünsche barg.

– Du – sagte Lyzzie leise. Wortlos neigte er sich; seine Hand faßte nach der ihren, die in den buntfarbenen Rosen ruhte. Die junge Frau lehnte sich still zurück, erfüllt von dem frohen Erkennen heimatvollen Geborgenseins; alles Alltägliche versank um sie vor der Macht des Zusammengehörigkeitsgefühls, das sie durchströmte.

Ihr war es, als umschlösse sie diese weiße Hand schützend vor dem Kampfe des Lebens, der irgendwo da draußen, sie nun nicht mehr erreichen konnte. Grell beleuchtete Felder flogen vorüber – Dörfer mit kleinen geduckten Häusern – Kinder winkten dem Zuge entgegen. – Grasbewachsene hügelige Abhänge, versengt und gedörrt von der drückenden Hitze – weite sandige gelbe Flächen, blendend im prallen Sonnenlicht. Langsamer ging die Fahrt, allmählich ansteigend, an steilen Felsblöcken, bedeckt von niedrigem Gestrüpp, vorbei. –

Schrill pfiff die Lokomotive. Polternd rollte die Maschine auf ein neues Geleise.

Lyzzie raffte den Seidenschal mit den Rosen zusammen und lehnte sich zu dem weitgeöffneten Coupéfenster hinaus. Strahlend fiel das Licht über sie und die bunten Blumen.

Ganz langsam kreiste jetzt der Zug um eine scharfe Biegung.

Ein ferner schattenloser Steinbruch öffnete sich jäh dem Blick. Zwischen zerrissenen Rauchwolken und sonnengetränktem Staub sah Lyzzie viele viele Arbeiter – steinbeladen – mit Schubkarren voller Geröll – an Felswänden und Schienen hämmernd – braune, verbrannte Gestalten, gegen das braune, Hitze reflektierende Gestein.

Manche wandten sich und sahen nach dem Zuge.

Und Einer, der ganz nahe stand, wies auf sie, die im hellen Kleide, die Rosen im Arm, mit goldflimmerndem Haare vorüberglitt. Und er streckte den Arm aus, der den eisernen Hammer hielt und rief laut: – ah! la bella signora! – und ein anderer antwortete: la bella signora! – und der ganze Schacht belebte sich plötzlich, braune sehnige Arme reckten sich, winkten von nah und fern, aus Hunderten von Kehlen rief es laut und freudig: la bella! – la bella signora! – viva la bella signora!

Lyzzie lächelte. War dies nicht ein Zaubermärchen? Volk stand unten. Volk, arbeitend, in Staub und Schweiß, in zerfetzter Kleidung — halbnackte Körper unter der sengenden Mittagsglut — Volk jubelte ihr entgegen, brachte ihr Ovation, ihr der Strahlenden und ihrem Glücke — ihr der Königin!

Und sie faßte die bunten Blüten, sie streute sie hinüber zu den jubelnden Stimmen – hinein in die rauhen Arbeitshände, die sich ihr freudig entgegenhoben.

– Viva la bella! – la bella signora! – schrill pfiff die Lokomotive.

Schneller und schneller drehten sich die Räder – nur noch eine Wolke brauner Männer, braunes Gestein – Rauch – ein Verhallen – Kahle steinerne Wände jagten vorbei. Lyzzie trat vom Fenster zurück, die Sensation eines seltsam schönen Spontanerlebnisses im Gefühl. Sie lehnte sich leise gegen ihren Gatten, der dicht hinter ihr stand. Er wandte sich brüsk von ihr fort. Aufschauend gewahrte sie sein verstörtes blasses Gesicht.

— Wie kannst du — sagte er erregt und preßte ihr Handgelenk — meine Blumen so hinausschleudern unter all die Männer! —

Entfremdet irrten ihre Blicke nach ihm ohne alles Begreifen.

— Der ganze Zug ist aufmerksam geworden — so etwas tut eine Dame nicht! — und noch dein Lachen dabei … dies Lachen — wie eine Dirne —

Ein paar Leute gingen auf dem schmalen Korridor vorüber und spähten neugierig ins Coupé. Endlos sandige Flächen blendeten draußen weit und breit. Was war denn nur geschehen? Die Maschine hammerte immer im Takt: — wie — eine — Dirne —

Was war denn nur geschehen?

War sie nicht freudetrunken der Zukunft entgegengeflogen — unendlichen Reichtum im Gefühl, alle Gedanken bei ihm — mit ihm — einem gemeinsamen Lebensziele zu? Und sie zog vorbei, geschützt, gepflegt, behütet — an denen, die dort arbeiteten, stumpf, unter dem eintönigen Joch – Tag für Tag – und die sich besinnend, plötzlich sie erkannten – sie, das Weib, sonnig und schön – und ihr zujauchzten, gleich einer lichten Vision, die flüchtig auftauchte und entschwand. Waren es Männer gewesen? viele Männer? Nein, es war der Mann – wie ein Symbol – der Mann, der sie rief aus der Ebene — der Mann, der in Sehnsucht die Arme nach ihr hob, der für sie arbeitete, damit sie zart und fein und schön bliebe für ihn — Und er, Achim — er war der Mann – er war der eine, dem alle Freude der Minute galt — warum begriff er nicht den Reichtum, den er ihr selbst geschenkt?

Warum begriff er nicht, daß sie die Blumen hinauswarf — irgend etwas gebend aus der Überfülle ihres heimlichen Glücks? War es möglich, daß er sie beschimpfte in diesem Augenblick? Stand er ihr denn so fern? Die Maschine hämmerte immer im Takt. — wie — eine Dirne — Warum überlegte er so nüchtern jetzt, was ladylike ist, was wohl der Herr im Nebencoupé denken könne und die Leute im Speisewagen — Hatte sie selbst in ihrem Glücksrausch auch noch Zeit gehabt zu konstatieren, daß sie die Frau eines korrekten Herrn in sozialer Stellung sei, eine Dame der Gesellschaft — in einem D-Zuge — mit einem Rundreisebillett erster Klasse — ?

— Achim lehnte matt und schweigend gegen das rote Sammetpolster. Er sah aus wie einer, dem eine Illusion zerbrach und der unruhig voller Skepsis der Zukunft entgegenblickt. Schräg über seinem Kopfe war ein Schild angebracht: – Vietato di sputare nel wagone – – Verboten auf den Boden zu spucken – Die junge Frau las es zum fünften Male.

Eine Fliege kroch am Fenster, fiel herunter – kroch wieder in die Höhe – flog dann aufbrummend nach Achim hin; er schlug danach, sie krümmte sich und fiel zu Boden.

Endlose sandige Flächen blendeten weit und breit.

Lyzzie beobachtete, wie die beiden ledernen Handtaschen und die große runde Hutschachtel unruhig in dem Netze zitterten. – Vietato di sputare nel wagone – – Verboten auf den Boden zu spucken –

Achim starrte an Lyzzie vorbei. Etwas in ihrem Gefühl strebte zu ihm – neigte sich – floh wieder zurück. Die Sonne brannte maßlos heiß. Hämmernd hörte sie das Geräusch der Maschine in ihren Schläfen, hämmernd in ihren Pulsen, hämmernd in ihren Nerven. Es war, als flüchte der Zug fort, – fort von dem Glücke – fort von der Gemeinsamkeit – fort ins Sinnlose.

Leise schloß sie halb die Augen. — Eine ferne blendende Steinschlucht öffnete sich — Männerarme — viele viele braune Arme reckten sich nach ihr — Stimmen riefen — sie sah auf Achims weiße Hände — es war als stießen sie diese Hände — fort von sich — fort unter die Masse der rohen braunen Hände, die gierig nach ihr griffen, um sie unter sich zu teilen. –

Eine hilflose Einsamkeit kroch in ihr empor. Sie schaute hinaus in die Ferne. Irgendwo irrten ihre Gedanken, ziellos haltend, heimatlos ins Ungewisse. Bunte Streifen der Felder wandten sich in rascher Flucht – Telegraphendrähte stiegen, fielen, eilend jagte der Zug durch die sonnenflimmernde Landschaft. Weit blaute der leuchtende Himmel Italiens.

In: März, Jahrgang 7, 1913, Band 1

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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