Catherina Godwin – Das heilige Motiv

DAS HEILIGE MOTIV

Von Catherina Godwin

Letzten Endes sind wir alle auf das Resultat Dressierte. Und Tausende starren heute nur nach dem entsetzlichen Resultat des Augenblicks — vor ihnen ist Zerstörung, Umwälzung, Qual und Tod. Die Hast und die Mechanisierung des modernen Lebens raubt uns die klare Erkenntnis der wahren Motive.

Wer nimmt sich noch die Zeit nach den Motiven Anderer zu forschen! Die Anderen klassifizieren sich für uns lediglich durch ihre Tat. Und Menschen sehen unsere Tat und stoßen uns in eine Kategorie, in der wir vielleicht dauernd Fremde sind.

Denn was die Menschen eint und sie in bestimmte Kategorien teilt, ist die Gleichheit ihrer Taten und was sie trennt und im heimlichsten traurig und einsam macht, ist die Verschiedenheit ihrer Motive. Aus ewig getrennter Heimat nahen sich Fremde und treffen sich als die Gleiches Erlebenden in der gleichen Tat und bleiben sich ewig Fremde. Die Tat jedoch kehrt stets verborgen wieder zu ihrem einstigen Motiv zurück, das Motiv aber kettet unsere Seele an die höhere Welt des ewigen Seins: die Unendlichkeit — die Tat aber gehört der konkreten Welt, unserer endlichen Welt des Scheins.

So können nur jene in gleicher Tat sich wahrhaft einen, die durch das gleiche Motiv auch zu gleicher Tat gelangten.

Und das ist wohl das tiefere Geheimnis von der wundersamen Einheit, die plötzlich das ganze Volk unseres Vaterlandes so unlöslich verknüpfte: daß nur das eine, gleiche, ideale Motiv die Begeisterten alle zu gleicher Tat beseelte!

 

Das heilige Motiv

Michel und seine Nachbarn II ::: Bruno Goldschmitt

 

Und das läßt unsere Hauptfeinde, verdoppelt unsere Feinde sein: die Erkenntnis, daß sie in ihren letzten Motiven nur als kalt berechnende Kaufleute das Schwert ergreifen – sich einem wesensfremden Volke verbrüdernd, das von der einen Grenze, seine innerlich gärende, revolutionäre Uneinigkeit gegen uns nach Außen wälzt, indes sie von der anderen Grenze die haßerfüllte Eifersucht eines dekadenten Kulturlandes ausnützen, das mit der Mißgunst einer immer noch fabelhaft geschminkten, aber schon alternden Mondäne, ev. Weltdame oder Frau die junge siegreiche Macht anfeindet, die in ihrer aufblühenden Werdensmöglichkeit berufen scheint, Führer der  kommenden Weltkultur  zu sein.

In dem ringenden Gegeneinander jedoch sind sich scheinbar alle Völker und alle Kämpfer gleich. Wir morden alle und greifen an und reißen nieder und wehren uns wie wir müssen! Doch der von dem idealen Geist seines Volkes Beseelte, er identifiziert sich nicht mit dem Grauen seiner Tat – er identifiziert sich nur mit dem Motiv zu seiner Tat.

Hinter seiner Tat aber steht das heilige Motiv.

In: März, Jg. 1915, Band 9, Seite 273/4

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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