Caterina-Godwin: Das Dilemma

Catherina Godwin

DAS DILEMMA

 

Es beschleicht mich ein Gefühl des Unbehagens, als beginge ich eine Handlung, die nicht durchaus salonfähig ist, und die ich nicht in meinem Dasein billige.

Ist es nicht betrüblich, daß ich immer von dir nehme? Nehme: Sensation, Erleben, Schmerz, Lust, während du so geringen Anteil daran hast? Treibe ich nicht ständig Plagiat an dir?

Habe ich dich nicht zum Outsider alles dessen gemacht, was ich um dich erlebe und erleben werde?
Habe ich je daran gedacht, wer du wohl auf der Visitenkarte bist? Ich müßte sagen:
— Gestatten die Herrschaften, daß ich vorstelle:
Der Herr, den ich liebe.

Ich bin wirklich nie auf die Idee gekommen, du könntest einen anderen Titel und einen anderen Beruf haben.

Warum auch sollte ich jemand Absonderliches lieben? einen Mann mit besonderem Namen oder besonderem Können? Wozu die Reklame? Ich brauche mir den Mann, den ich liebe, nicht von anderen oder von ihm selbst beweisen zu lassen; ich mache durch meine Gefühle bei mir selbst eine konkurrenzlose Reklame für ihn.

Ich sehe sehr darauf, daß exklusive Männer von Bedeutung mich lieben, aber ich sehe gar nicht ein, warum ich einen Mann von besonderer Bedeutung lieben sollte.

 

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Ist nicht zwischen uns ein Kampf, bei dem ich weiß, daß du den kürzeren ziehst malgré tout? Ein Kampf, nach welchem du überlegen und sicher stehst in der Haltung des Siegers. Du glaubst einst stolz, daß Blut und Tränen um dich geflossen sind. Nein — für vierzig Pfennige tiefschwarze Kaisertinte.

Bin ich nicht die Besiegte, die heimlich in die Gefangenschaft geht und dir dein Reich ausplündert? Beging ich eine Schuld? ein Unrecht? Was willst du! Es ist die Kleptomanie der gefangenen Fürstin. Ich stehle zum Vergnügen. Ich stehle mir die Not zum Pläsier.

Habe ich dir nicht nur darum scheinbar sklavisch und devot gedient, damit du mir dienst? Dienst, um das Leben zu steigern, den Prozeß der Empfindung zu komplizieren, fabulante Sensationen aus dem Nichts zu reißen, die Gedankenwelt abenteuern und ausleben zu lassen, alle konträren Begehrungen der Nerven in allen Variationen neuer Gefühle spielen zu sehen und mich in ein Chaos fremder verwirrender übertaumelnder Gefühle zu stürzen?

Und die Permanenz meiner Anständigkeit gegen dich, — ist sie wohl ganz einwandfrei?
Du mußt dir doch einmal sagen: — Zum Teufel, die Frau ist anständig, sie ist mir treu, sie verlangt nie meine Liebe, sie macht mir niemals Vorwürfe, sie trägt nichts nach, sie geht, wann ich sie vertreibe, sie kommt wieder, wann ich will.

Und es wird dir wahrhaft unbehaglich sein. Ist es

 

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nicht ein wenig unanständig, dich durch meine Anständigkeit in solche Verlegenheit zu bringen?
Wäre es nicht meine Pflicht und eine Bedingung der Höflichkeit, dir endlich eine Waffe gegen mich zu geben?

Ich war der Organisator meiner Liebe, dein Impressario, der dich entdeckte und kreierte zu meinem Profit.

Schließlich kommt doch einmal der Moment, da man mit Schleiern und Handschuhen die Liebe betrachtet, irgendwann wird man formell, tut den Mann in eine Epoche, begreift, er hat zeithistorischen Wert — aber er ist nicht mehr aktuell.

Und das Empfinden regt sich: wie könnte ich mich revanchieren? Ich sinne, ich möchte dir etwas Schönes tun. Es ist ein Gefühl des Dankes und vor allem das Gefühl einer Verpflichtung. Andererseits möchte ich auch eine Grenze ziehen zwischen dem Mann, den ich liebe und der auf einem Altare der Gottheit steht, und dem Herrn, der nur der Darsteller dieses Altarmannes war.

Ich sinne. Du hast mir immerhin gegeben, viel mehr gegeben als ich dir. Du schenktest mir Momente der Unendlichkeit, du gabst mir insonderheit so viel, wenn du nicht da warst. Ich meine, die Entfernung von dir war so überreich. Deine Indifferenz und das Unbeteiligte deines Gefühls gaben mir die Möglichkeit, unsere ganze Beziehung aus dem Plus meiner Empfindung zusammenzusetzen.

Die Demut meiner Liebe ist ein Despotentum, und all ihr Geben ist ein Nehmen.

 

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Ich schaue auf dich in meinen Gedanken, wie du mich nonchalant zu deinen Füßen siehst, im Behagen deines selbstgefälligen betrogenen Dandysmus.

Du weißt nicht, daß ich dich kraft meines Willens und Wunsches in mein Leben zwang und du dort gleich einer prunkvollen Maschine warst, die herrschen, mißhandeln, streicheln, mißverstehen und ruinieren soll. Bis ich sie ablaufen lasse und aus meinem Leben entferne, da ich ihres Gefühlsspiels müde bin.

Ich grübele und sinne. Ich fühle mich recht bedrückt. —
Du warst immerhin ein employé de mes sentiments. Das ist klar.
Meine unsägliche Liebe ist doch für dich durchaus kein Äquivalent für den Reichtum, der mir aus deiner Indifferenz wurde.

Ich fühle mich gegen dich verpflichtet. Ich möchte dir dann eine prunkvolle Villa schenken am Comer See oder dir eine fabelhafte Maitresse aushalten.

 

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[In: Catherina Godwin, „Das nackte Herz“. München, Langen 1912. Kl-8°, 174 Ss.]

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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