Catherina Godwin: Ende

Agonie einer Liebe

Paradiesvögel ::: Max Švabinský

ENDE

Von Catherina Godwin

„Lassen wir die Tragikomödie“, sagte er, „lassen wir das ganze lächerliche Effekthaschen des Abschlusses …“
Er stand am Fenster. Drehte ihr den Rücken. Der Abend blaßte durch die Scheiben. Sie sah seine Silhouette, die imponierend, fast gewaltig, schwarz gegen die Helle in scharf betonter Rückenlinie ihr ablehnend wie nie zuvor erschien.

Die junge Frau sank ganz in sich zusammen, raschelte in Seide, bewegte ihr schmales Gesichtchen in äußerster Hilflosigkeit. Sie war sich bewußt, daß ihre schmerzliche Pose verschwendet an das stumme Zimmer blieb und niemand Zeuge ihrer graziösen Verzweiflung war.

Sie war sich gleicherzeit auch bewußt, daß ihre Verzweiflung größer war, denn sie selbst, daß ihre Verzweiflung über ihre schmerzliche Pose hinauswuchs und das Programm ihrer Phantasie vor der sachlichen Wirklichkeit versagte.

Sie griff in zitternder Geste nach ihrem Pompadour, und ihre Finger, die sehr zierlich, sehr beringt und sehr manikürt waren, tasteten nach dem kostbaren türkisgeschmückten Dolche.

Sie tat sich leid über die Maßen. Und wußte dennoch sie mußte es tun, er war der einzige Trumpf, der auszuspielen ihr jetzt noch blieb. „Ich kann“, so sagte er unvermittelt (als stünde er neben ihr und nicht am Fenster), „dich verstehen, aber ich kann dir den Fehler nicht verzeihen, es in meiner Wohnung zu tun… Man kann verzweifeln – aber privat – die Verzweiflung als privater Luxus… gut! – aber nicht sie öffentlich ausbeuten – Nach außen – verlange ich Haltung.“

Die kleine verzweifelte Frau wurde noch kleiner und noch verzweifelter. Ihr Herz hämmerte rebellisch. Sie fühlte: Mir geschah Niedertracht. Aber so, daß sie nicht schreien konnte. Das Wort: „Haltung“ beherrschte noch höhnend die Luft. Und die dunkle Gestalt dort am Fenster schien nur noch Haltung, gänzlich an die Gebärde veräußert, gänzlich ohne Menschlichkeit.

Sie fühlte sich verlassen wie nie zuvor. Verlassen von allen und allem im Leben. Verlassen von sich selbst. Sie war ein gescholtenes Schulkind, verlassen im Fleiß der Liebe, verraten in ihrem höchsten Ehrgeiz und zu Hause am Tische saß ein kurzsichtiger Mann mit Brille und beriet besorgt über ihr Wohl mit dem Sanitätsrat.

Eine quälende Sehnsucht befiel sie plötzlich nach diesem gütigen, kurzscihtigen Manne, eine elementare Sehnsucht nach seiner Liebe und seinem Schutz. Ihr Liebeserleben mit dem anderen preßte sich zusammen wie eine Nichtigkeit und stieg gleich darauf glühend empor wie eine Flamme, in die sie alle ihre Sehnsucht und ihre Ohnmacht warf.

Zugleich überstürzte sie gewaltsam ein Gedanke – nie zuvor von ihr gedacht – der sie emportrieb zu rascher Tat.
Warum denn sollte sie zerschellen? Warum sie!? Warum nicht er! – Er, der seine Grausamkeit breit und selbstgefällig mimte. – Wer würde es ahnen – da keine Spur einer Realität sie äußerlich verband – –

Da war der Dolch tausendmal in ihrer Phantasie gegen ihr Fleisch ausgespielt und nun in einem befreienden Entschluß gegen die starre Haltung seiner Ablehnung erhoben.

Im selben Augenblick wandte er sich brüsk, sah die Waffe auf sich gerichtet, packte ihr Handgelenk und stieß es hinab, so daß der Dolch in das Lager ihres einstigen Glückes drang.

„Mach keine Dummheiten mehr“, sagte er endlich ruhig, „du weißt: ich bin kein Mann der Ewigkeiten.

Er nahm die türkisgeschmückte Scheide, barg den Dolch sachlich darin, er betrachtete die Waffe ihrem Kunstwerte nach, wie ein Käufer einen Gegenstand beim Antiquar, er nahm den Pompadour, legte den Dolch hinein und schloß auch den Pompadour ordnungsgemäß.

Und sie sah, wie er ihr herrscherlich auch das letzte noch nahm: ihr Anrecht auf Tragödie. 
Es war, als griffe er in ungeheurem Egoismus nun allen ihren Schmerz aus der Luft als seinen rechtmäßigen Besitz. 
Seine Worte waren nur noch Nekrolog. Schon ganz losgelöst von ihr, sie verwechselnd mit allen Frauen, sie registrierend in der großen Bilanz seiner Erlebnisse.

„Ich weiß“, so ging seine Rede, „daß ich ein Verdienst habe: Ich habe dich deinen Mann lieben gelehrt…, deinen guten Mann, den du noch nie geschätzt hast…“

Die kleine Frau errötete.

„Ja“, sagte er, „das ist mein Schicksal…, ich lehre die Frauen ihre Männer wieder lieben. Vielleicht ist es meine Mission. Durch mich kehren sie zurück – an mir lernen sie Sünde und Verrat verneinen – Ja, sie vertreben in mir den Verräter aus ihren Gedanken – sie ermorden ihn – 

Eine kleine Unfähige wird Symbol – hebt einen Dolch nach mir wie ein Spielzeug – Aus der Irrfahrt in den Schatten der seligen Chimäre, kehren sie reuig heimwärts zur Heimat ihres bürgerlichen Glücks… 
Ich bleibe allein.“ Er schwieg.

Er lächelte entschuldigend, müde über sie hin.

Dann reichte er ihr den Pelzmantel und hüllte sie wehmütig ein, wie eine Kostbarkeit, die man aus Großmut verliert. Und eine elegische Stimmung des großen Gebers blieb ihm, die er bei einer Importzigarre, auf der Ottomane einfach ruhend, genoß.

 
 
In: Reigen. Illustrierte Monatsschrift. Berlin, Wilhelm Borngräber Verlag. 1. Jahrgang, Heft 12, September 1920. S. 17.

Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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