Ein in der Buchkunstzeit immer wieder in luxuriösesten Ausstattungen aufgelegtes Werk sind Omar Khayyāms “Rubáiyát”. Die Vierzeiler des altehrwürdigen Universalgelehrten des 11. Jahrhunderts aus Nischapur im persischen Teil der Provinz Chorasan wurden in Europa erst durch die kongeniale Übersetzung durch Edward Fitzgerald in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Allgemeingut – dann aber traten sie einen Siegeszug an. Zahlreiche weitere Orientalisten und Literaturhistoriker versuchten sich mit mehr oder minder großem Geschick an Übertragungen, darunter in Deutschland Adolf Friedrich Graf von Schack und Friedrich Bodenstedt. Auch was Ausstattung und Illustrationen anbelangt, haben nur wenige Werke so viele unterschiedliche Künstler inspiriert wie die Rubaiyat. William Morris und Edward Burne-Jones erschufen zwei illuminierte Manuskripte der Rubáiyát, Edward Sullivan, Frank Branwyn, Edmund Dulac und Willy Pogany steuerten Illustrationen zu verschiedenen bibliophilen Ausgaben bei. Als eines der aufwändigsten Werke der Einbandgeschichte gilt ein in über zweijähriger Handarbeit von Francis Sangorski (Sangorski & Sutcliffe) gebundenes Exemplar, für das der englische Kunstbuchbindermeister 1500 Edelsteine und Halbedelsteine, 5000 Leder-Applikationen und etwa zehn Quadratmeter Blattgold verarbeitete. Bei Sotheby’s für £ 1000,– aufgerufen und zum Schnäppchenpreis von 405 Pfund an einen amerikanischen Sammler verschleudert, wurde das Buch im April 1912 per Schiff nach Amerika versandt – dummerweise mit der RMS Titanic. Das in den eisigen Tiefen des Ozeans versunkene Büchlein ist Gegenstand feuchter Bibliophilenträume und erreichte unter dem Namen “The Great Omar” Legendenstatus. Auf der Website von Shepherd’s Bookbinders, die den Betrieb von Sangorski & Sutcliffe übernahmen und seine Tradition handwerklicher Spitzenleistung bis heute weiterführen, sind Informationen und eine Abbildung des “Great Omar” zu finden.
Während in Deutschland die Buchkunstzeit wildeste Blüten trieb, bediente sich im benachbarten Frankreich die aufkommende Art Déco zunehmend orientalischer Motive. Zunächst inspiriert durch Howard Carters Entdeckung des Tut-Anch-Amun-Grabes, wurden nach und nach alle Bereiche der von einer Exotik-Welle erfasst. Puccinis “Turandot”, die Haute Couture von Doucet und Poiret, der Einsatz japanischer Lackarbeiten bei Ruhlmann und Légrain und die Faszination des Bayerischen Bananentanzes legen beredtes Zeugnis von dieser Entwicklung ab. Auch in Deutschland erfreute sich das Werk weiterhin großen Zuspruchs. So erschien 1912 eine weitere Übersetzung von Friedrich Rosen, Georg W. Dietrich in München brachte eine Deutsche Fassung, der Verlag der Münchner Drucke ließ die Fitzgerald’sche Fassung 1923 bei Enschedé en Zonen in Haarlem als Zweihundertdruck in der Fleischmann-Antiqua auf edles Bütten pressen (der Hyperion-Faust lässt grüßen …) und auch der literaturgeschichtliche Schelm und Tausendsassa Klaubend legte eine eigene Ausgabe vor.
Das vorliegende Buch mit wundervollen Art-Déco-Illustrationen von „Fish“ erschien 1922 bei John Lane The Bodley Head in London. Das Pseudonym ist gar keines – Anne Harriet Sefton, geborene Fish (1890-1964) stammte von der englischen Südküste und war als Künstlerin vor allem in der aufkeimenden Kultur der Modemagazine zu Hause. Ihre schulische Bildung erhielt sie von Privatlehrern in den eigenen vier Wänden. Dann studierte sie Kunst, zunächst bei C. M. Q. Orchardson und George Belcher, dann an der John Hassall School of Art, die damals unter dem Namen New School of Art firmierte. Es war wahrscheinlich Hassall, der ihr die ersten Illustrations-Aufträge für das Verlagshaus John Lane The Bodley Head vermittelte. Neben zahlreichen Buchillustrationen wurde sie bald auch von renommierten Magazinen gebucht und zeichnete unter anderem für die Vogue, Harper’s Bazaar, Tatler, Cosmopolitan und Vanity Fair.
Der besondere Reiz der Rubaiyat-Illustrationen liegt in dem erwähnten starken Einfluss der Art Déco. Die aufwändig gedruckten Lithos in Schwarz und Gold bzw. Silber haben durchaus ihre Wirkung; ihre Stärken und ihre eigene Handschrift zeigt Fish aber vor allem bei den farbig ausgeführten Blättern. Hübsch.