Große Pläne und ein plötzliches Ende
Leipzig ist stolz auf seinen Vorzeige-Buchbinder. Er erhält den Auftrag, für die 1914 erstmalig stattfindende BUGRA eine traditionelle Buchbinderwerkstatt einzurichten. Ebenfalls 1912 zählt Sonntag gemeinsam mit Paul Kersten zu den Gründungsmitgliedern des Jakob Krauße-Bundes, der sich für die Belange deutscher Buchbinderbetriebe einsetzen soll. Ein Beitrag im Archiv für Buchgewerbe nennt ihn als Initiator und beschreibt die Ziele des Vereins:
„Im Zusammenhang mit dem vorstehend Berichteten steht die in diesem Jahre auf Anregung von Herrn Carl Sonntag jun. in Leipzig erfolgte Gründung des „Jakob Krauße-Bundes“, einer Vereinigung deutscher Kunstbuchbinder. Dieser Bund ist benannt nach dem künstlerisch veranlagten, bahnbrechenden alten Einbandmeister Jakob Krauße, der die hervorragendsten deutschen Renaissancebände um die Mitte des 16. Jahrhunderts geschaffen hat. Der Bund erstrebt den Zusammenschluß der Kunstbuchbinder zur Wahrung ihrer ideellen Interessen. Durch geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen, durch Wanderausstellungen, Vorträge usw. will er seinen Mitgliedern Vorteile verschaffen, welche den einzelnen nicht erreichbar sind. Das Hauptbestreben für diesen neuen Bund dürfte es sein, die Bücherfreunde von der geschmacklichen und zugleich technischen Leistungsfähigkeit seiner Mitglieder zu überzeugen. Hoffen wir, daß er dies vermag! Die Erfolge dieses Bundes werden auch abhängig sein von einer durchaus taktvollen und zielbewußten Werbearbeit.“
(Archiv für Buchgewerbe, 49.2, 1912, Heft 11/12, November-Dezember 1912)
Im Folgejahr 1913 lässt Sonntag erneut bei Poeschel & Trepte eine Werbeschrift drucken. Offenbar hat er zu diesem Zeitpunkt noch einiges vor – doch Ende des Jahres gibt der Meister seinen Betrieb plötzlich auf. Im Alter von 31 Jahren, auf der Höhe seiner Schaffenskraft, verkauft er seine Buchbinderei ohne jeden ersichtlichen Grund. Stattdessen erwirbt er die Tabakwaren-Großhandlung seines Vaters und tritt dessen Nachfolge an. Seine Sammlung alter Handstempel aus den Jahren 1780 bis 1830 verkauft er an den Insel Verlag. Und mit sofortiger Wirkung verschwindet er vollkommen von der Bildfläche — so gründlich, dass er von einem eigentlich recht gut unterrichteten Zeitgenossen für tot gehalten wird: 10 Jahre nach Sonntags Geschäftsaufgabe berichtet Ludwig Sternaux im “Sammlerkabinett” über bibliophile Kostbarkeiten im Katalog Nr. 27 des Auktionshauses Paul Graupe, Berlin:
„(…) So vor allem, nach langer Zeit einmal wieder, den wundervollen Privatdruck Hans v. Webers von Beardsley’s ‘Venus und Tannhäuser’-Novelle in Pergamentband von Carl Sonntag jun. seligen Angedenkens, ein Buch, das Jahre hindurch nirgends aufzutreiben war. (…) Man hielt sie bereits für gänzlich verschollen. Und wir stehen nicht an, sie für das seltenste Buch in Graupes Auktion zu erklären (…)“
„Sammlerkabinett“, 2. Jg. 1923, Heft 2.
Nach dem ersten Weltkrieg, den er an verschiedenen Fronten kämpfend überlebt und von dem er ein chronisches Nierenleiden zurückbehält, führt Carl Sonntag jun. seine Tabakhandlung fort, bis er sie im Jahr 1929 liquidiert. Im März 1930 versucht er einen Neuanfang als Buchbinder in Berlin, im August desselben Jahres stirbt er.
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