Was bleibt – und was fehlt
Was vom Schaffen des Carl Sonntag jun. in den produktiven Jahren von 1907 bis 1913 bleibt, ist ein großes Fragezeichen sowie einige wenige Exemplare seiner weniger aufregenden Einbände in Antiquariaten. Und hin und wieder taucht ein etwas spektakulärerer Sonntag-Einband in den großen Auktionshäusern auf, um dann wieder für Jahrzehnte im Bücherschrank eines betuchten Sammlers zu verschwinden. Was bis heute fehlt, ist eine umfassende Aufarbeitung seiner Lebensgeschichte, die all die offenen Fragen beantwortet, die sich angesichts seines plötzlichen Abtauchens stellen. Verdient hätte er’s.
Vom Nachlass des Carl Sonntag jun. hat nur wenig die Zeit des Nationalsozialismus überstanden. 1939 flieht seine jüdische Frau Laura mit den drei gemeinsamen Kindern über Prag, Rotterdam und London in die USA. Ihr Besitz wird im Verlaufe der „Arisierung jüdischen Vermögens“ im August 1941 bei dem einschlägig berüchtigten Auktionator Hans Klemm unter das gierige Volk gebracht. Vorher ersucht Direktor Dr. Johannes Hofmann persönlich bei der Geheimen Staatspolizei darum, die Büchersammlung Carl Sonntags durch Beschlagnahme vor der Versteigerung zu bewahren und für den Bestand der Leipziger Stadtbibliothek zu sichern. Sonntags Bücher gelangen in den Besitz der Leipziger Stadtbibliothek; die verbliebenen Werkzeuge ersteigert zunächst der Leipziger Buchbinder Walter Veit, über den sie kurz darauf ebenfalls an die Staatsbibliothek kommen. Während des verheerenden Bombenangriffs am 4. Dezember 1943 werden sie bis auf sieben Bücher vernichtet – Hofmann hatte lediglich die Inkunabelsamlung in Sicherheit bringen lassen, weil er auch in Kriegstagen den Kulturbetrieb aufrecht halten wollte. Die erhaltenen sieben Bücher gelangten später in den Besitz der Deutschen Bücherei (heute Deutsche Nationalbibliothek).
Nach dem Krieg ersuchte Laura Sonntag um Unterstützung bei der Wiederbeschaffung ihres Besitzes – dabei wandte sie sich ausgerechnet an Hans Klemm, den größten Gewinner der arisierungsbedingten Versteigerungen. Wie nicht anders zu erwarten, war ihrer Anfrage kein Erfolg beschieden. Erst etwa 50 Jahre später wurden einige Gegenstände aus dem Besitz der Familie identifiziert und ein Versuch unternommen, diese an die mittlerweile hochbetagten Töchter der Sonntags zurückzuführen. Die Damen zeigten sich entsetzt über die äußerst unsensible Art der Kontaktaufnahme und befremdet über die Geschwindigkeit der deutschen Wiedergutmachungs-Bemühungen. Sie ließen letztendlich durch ihre Anwälte ihren Verzicht auf die Rückführung jener letzten sieben Bücher erklären. Die Geschichte ist nachzulesen in Regine Dehmel (Hrsg.): Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie – Sonderheft 88. Frankfurt/M., Klostermann 2006.