Vom plötzlichen Verschwinden des Buchbinders Carl Sonntag jun.

Auf dem Zenith – die Erfolge des Jahres 1912

Durch Vermittlung seines Schwagers Gustav Nebehay erhält Carl Sonntag jun. 1912 den Auftrag, für das renommierte Leipziger Kunstantiquariat C. G. Boerner den Katalog für eine Auktion kostbarer Bucheinbände zu verfassen. Das Ergebnis ist ein reich bebildertes, fachkundig beschriebenes und mit einem persönlichen Vorwort versehenes Werk in deutscher und französischer Sprache, das in bibliophilen Kreisen große Beachtung findet. (Sonntag: Kostbare Bucheinbände des XV. bis XIX. Jahrhunderts. C. G. Boerner, Leipzig 1912). Der Katalog avanciert zu einem bibliographischen Standardwerk und definiert den Bon Ton für die Katalogausstattung der führenden Kunsthandlungen neu. Schon die kurze Buchbesprechung in Hans von Webers Zwiebelfisch spricht Bände:

„BUCH-EINBÄNDE, KATALOG XXI, C. G. BOERNER, LEIPZIG. Beschrieben von Carl Sonntag jun. Mit 9 farbigen und 43 schwarzen Tafeln. Das ist kein Katalog, sondern ein Prachtwerk, ein Schlemmermahl für jeden bibliophilen Gourmet, gewürzt durch die klugen Worte eines Buchbinders von heute, der wohl berufen ist, diese Einbände aus dem 5. — 19. Jahrhundert vorzuführen. Preis M 20,—“

(Zwiebelfisch, Vierter Jahrgang 1912) 

Die Werkstatt Sonntags floriert. Ermutigt von seinen großen Erfolgen, bezieht er noch im selben Jahr neue, elegante Räumlichkeiten im Parterre der Albertstraße 28 (heute Riemannstraße), direkt vis-à-vis der Peterskirche.

Für Hans von Webers Zwiebelfisch verfasst Carl Sonntag jun. einen Artikel zum Thema Leder und Bucheinband, der in den letzten beiden Heften des Jahrgangs 1911 abgedruckt wird. Zu Neujahr 1912 lässt Sonntag den Artikel bei Poeschel & Trepte drucken und versendet ihn als Zirkular an seinen Kundenstamm und an potenzielle Neukunden. Auch im Archiv für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik 1912 wird der Artikel abgedruckt.

Einige von Sonntags Aufsehen erregendsten Einbänden entstehen im selben Jahr. Der Meister ist auf der Höhe seines Ruhms. Von seiner Hand gebundene Bücher erzielen bereits hohe Preise im Antiquariats- und Kunsthandel – so bietet das Buchantiquariat und Auktionshaus Ottmar Schönhut Nachf. in München unter neuer Führung Horst Stobbes in seiner Auktion 38 Einbände von Sonntag an – die Anzeige im Zwiebelfisch 3/1912 liest sich wie folgt:


DRUCKE FÜR DIE HUNDERT i.Handbdn. v. C.Sonntag jun. M 1200.—


 

Auch die Auktionshäuser A. Ackermanns Nachf. Karl Schüler und Ulrich Putze Nachf. Hans Goltz in München, Martin Breslauer und Paul Graupe in Berlin sowie das durch Schwager Nebehay vertretene Buchantiquariat C. G. Boerner in Leipzig kennzeichnen Sonntags Einbände explizit in ihren Anzeigen. Ebenso liest man seinen Namen in den Annoncen und Verlagsankündigungen von Häusern wie Insel-Verlag, Hyperion Verlag und Ernst Rowohlt Verlag.

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Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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