Hyazinth. Novelle von Catherina Godwin.

Hyazinth II, der Falsche, begriff, daß der Mensch wandlungsfähig ist und daß ein Mann von Geschmack seine Weltauffassung zuweilen wechselt wie jeder Mann von Welt die Frau. Er war noch sehr jung, da er als Kinoheld debütierte, er hatte aus zagendem Gefühl sich mit kühner Gebärde gezwungen, er war der geworden, den er mimte, und diesen zustand teilte er mit den meisten Arricierten im Heute.

Doch allmählich fühlte er sich mit Erfolg überfüttert. Ob sie nun Ly oder Mi oder Olly hieß, es war ja doch das gleiche! Und das Hotel war das gleiche, wo immer es auch stand, der hagere Engländer, der stämmige Amerikaner, es war immer der gleiche, alles war Reproduktion und nichts mehr Original! Der schöne Mann gähnte wieder. Mein Gott, die Landschaft! Es gibt Leute, die zu ihr ein Verhältnis haben, ein Baum steht so und der andere so – im Grunde ist es das gleiche.

Die Landschaft wertete Hyazinth II lediglich als Kulisse. Er betrachtete sie als Fachmann: jede überladene Kulisse lehnte er ab. Er schätzte auch beim Interieur nurden möglichst leeren Raum, den nicht das Mobiliar, sondern der Mensch beherrscht. Da und dort ein edles Stück Möbel, ein Tisch mit Geschmack und Kultur bedeckt, denn das Service ist alles im Leben. Man kann sich alles erlauben, wenn man es den Menschen nur richtig serviert!

Hyazinth II kam zu dem Ergebnis, daß es ein Irrtum ist, alle Menschen stünden im selben Rang vor Gott. Im Gegenteil: ihre Rangfolge war in allen Jahrtausenden klar. Wenn nur vier Personen im Zimmer sind, hat der eine mehr als der andere zu sagen: das Weltall ist ein Patriarchat. Diese Überzeugung steigerte sein Ehr- und Selbstgefühl, denn er wußte zu herrschen: ob mit Recht oder Unrecht, darauf kommt es nicht an, es handelt sich darum, wie man sich durchsetzt.

Gerechtigkeit! Hyazinth II konnte so reizvoll lächeln, ganz ähnlich wie Hyazinth I, nur hatte dessen Lächeln einen göttlichen Einschlag, Hyzinth II hingegen lächelte satanisch. Gerechtigkeit! Auch dieser Begriff schien ihm von Menschen zweiter oder dritter Klasse erfunden. Dachte ein Mensch erster Klasse an Gerechtigkeit? Es war gerecht, daß er erster Klasse war, er warf sich kraft dessen zum Richter der Gerechtigkeit selber auf. Gesetze! Hyazinth II streckte seine vollendet gearbeiteten Stiefel auf den Chippendalesessel, was ihm kein Oberkellner verwehrte. Er hatte seine eigenen Manieren und pfiff auf jedes Gesetz! Und Sonderzüge pfiffen auf ihn, ein Wort genügte, daß ein König ihn zur Audienz berief, ein Blick genügte, daß eine Königin ihren König betrog.

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Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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