Hyazinth. Novelle von Catherina Godwin.

Nun war das nette Fräulein ausgestiegen. Ohne jeden Gruß. Gar nichts hatte sich begeben. Keinerlei Erlebnis. Der Einsame stellte fest, daß der Abschied von einer erlebten Frau meist auch nicht verbindlicher ist. Man grüßt nur beflissen die Symbole seiner Wünsche. Den Erfüllungen wendet man gerne stolz den Rücken. Wenn man in den Augen der Anderen unter den jenseitigen weilt, darf man aus erhöhter Perspektive urteilen. Diesseits lebt man ja doch nur für die Meinung der anderen, wenn man auch auf sie pfeift.
Der junge Mann mit dem ansprechenden Profil, dem edel geformten Schädel, der hohen, gefurchten Stirn und dem leicht sarkastischen Zug um die Lippen, pfiff nun wirklich, und er entdeckte, daß es ein Schlager der Saison sei. Er errötete flüchtig und fühlte sich beschämt. Denn sagen Sie selbst: sind es nicht meist halbwüchsige oder mittelmäßige Individuen, die den Schlager stets als schick preisen und durch endlose Wiederholung zu Tode hetzen? O Warenhaus! Hyazinth litt in dieser Minute, denn es ist ein Leiden, immer ein Eigener sein zu wollen, es ist ein Leiden, am Gegenrhythmus zu kranken.

Zwischen seine markanten Augenbrauen traten zwei tiefe Längsfalten, und seine lichtbraunen Augen funkelten opalisierend. Ihn hatte sein Gegenrhythmus nicht weiter gebracht. Was sollte aus ihm werden? Er gelobte sich, von heute ab kein Mensch mehr mit fest umrissenem Programm zu sein. Im Zeitalter der Konjunktur wird der Mann mit Programm überrannt von dem, der kühn improvisiert.

Das war ein komisches Statiönchen! Der Stationschef mit knallroter Mütze, nagelneu, expressionistisch-naiv auf seinen altmodischen Schädel gesetzt. Dazu die Geste eines Imperators, mit der er den Ablauf des Zuges regelte, als bestimme er den Ablauf der Zeit. „Ach, große Gebärde im billigen gefangen, wie rührend bist du!“ dachte Hyazinth.
Er gab sich jetzt dem Rhythmus des sanft schaukelnden Personenzuges hin. Zuweilen ein Geschnatter, ein Pfiff, dann war wieder eine Station und immer wieder ein Mann mit dem altmodischen Kopf und der knallroten neuen Mütze darauf.

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Author: Andreas Schüler

Geboren 1970 · Aufgewachsen in Nordhessen · Studium in Frankfurt und Halle · Lebt und arbetet in Berlin · Stationen als Ghostwriter, Konzepter, Art Director, Onlineredakteur, Creative Director, Head of Content, Head of Marketing. Vater von zwei Söhnen.

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